Die Äbtissin
auszutauschen, wie die Geschäfte laufen. Auf diesem Platz sind schon oft wichtige Geschäftsabschlüsse zustande gekommen. Vor Jahren…«
Ein unterdrückter Schrei von Inés, die hinter María hervorlugte, unterbrach ihre Unterhaltung.
»Was hast du denn, Tochter?«, fragte María besorgt. »Man könnte meinen, du hättest ein Gespenst gesehen.«
»Kein Gespenst, aber ich habe meinen Vetter Tristán unter den Männern entdeckt, die dort an der Ecke miteinander sprechen«, sagte das Mädchen mit zitternder Stimme und verbarg sich rasch unter der Wagenplane.
»Welcher von ihnen ist es?«
»Der Größte, der mit dem roten Haar.«
María nahm den berüchtigten Vetter in Augenschein. Er war sehr groß und überragte seine Begleiter um Haupteslänge. Sein rötliches Haar sah wirr unter dem Hut hervor. Er schien ein sehr selbstgewisser Mann zu sein, der mit seiner Stimme die übrigen übertönte. Er sprach Kastilisch mit einer starken biskayischen Färbung.
»Eure Ausflüchte interessieren mich nicht, Meister Ruiz«, sagte er zu einem anderen. »Die Zahlung der zwanzigtausend Maravedís muss binnen zweier Tage erfolgen. Andernfalls, das wisst Ihr genau, wird Euer Schiff in meinen Besitz übergehen.«
Aus seinem Ton sprach nicht das geringste Mitgefühl mit dem Mann, in dessen betrübtem Gesicht klar und deutlich die Verzweiflung geschrieben stand.
Als sie an ihm vorüberfuhren, begegneten sich ihre Blicke. Tristán de Leguizamón war ein gut aussehender Mann. Er hatte eine Adlernase, die jedoch nicht so groß war, dass sie sein Gesicht entstellt hätte, und honigfarbene Augen, aber seine Lippen waren schmal, wie aus Marmor gemeißelt.
»Ist er weg?«, hörte sie Inés fragen.
»Nein, er steht noch am selben Platz«, antwortete sie und setzte humorvoll hinzu: »Aber wir haben das Feld geräumt.«
Sie setzten ihren Weg fort, bis sie das andere Ende der Stadtmauer erreichten. Dort hielten sie vor den Toren des Klosters La Esperanza, dem Konvent der Augustinerinnen.
»Da wären wir, Doña María!«, rief Salazar und wies auf das Gebäude. »Gleich morgen schreibe ich an Don Luis de Mendoza, um ihm mitzuteilen, dass ich seinen Auftrag ausgeführt und Euch heil und unversehrt hierher gebracht habe.«
Er half ihr und danach Inés und Joaquina vom Wagen.
»Lieber Freund, ich weiß nicht, wie ich Euch für Eure Begleitung und Eure Hilfe während dieser Reise danken soll«, sagte María, während sie seine Hände ergriff. »Ich werde ihm gleichfalls schreiben, um ihm zu sagen, wie glücklich wir uns schätzen, unter Eurem Schutz gestanden zu haben.«
»Es war mir ein aufrichtiges Vergnügen, Señora.« Der Hauptmann verbeugte sich. »Und das meine ich von Herzen. Mit Eurer Erlaubnis werde ich Antoñino bei meiner Familie unterbringen. Mein kleiner Bruder ist in seinem Alter, und ich bin gewiss, dass sie schon bald gute Freunde sein werden. Was mich angeht, so werde ich in Kontakt zu Euch bleiben, und wenn ich Euch irgendwie behilflich sein kann, könnt Ihr einen Boten zum Turm der Salazars schicken. Man kann ihn von hier aus sehen.«
Bei diesen letzten Worten blickte er zu Inés, während er auf den Turm deutete.
Die Tage in Bilbao verliefen friedlich. María und ihre Gefährtinnen fügten sich wieder in das ruhige, ein wenig monotone Klosterleben ein, und ihre Reise begann ihnen wie ein weit zurückliegendes Abenteuer vorzukommen. Das Kloster La Esperanza lag vor den Toren der Stadt, neben einer früheren Einsiedelei zu Ehren des heiligen Nikolaus von Bari, in der sich nun eine Kirche befand. Dennoch konnte man nicht sagen, dass es sich abseits der Stadt befand. Das Kloster war entlang der Mauer errichtet worden, mit dem Fluss auf der einen und dem Gebirge auf der anderen Seite. Die Zellen, die nach vorne wiesen, gingen auf den Strand hinaus, und man konnte beobachten, wie große Segelschiffe oder auch einfache Fischerboote aufs Meer hinaus fuhren. Die Landschaft war wunderbar, ebenso wie die Sonnenuntergänge, auch wenn es nur selten einen Tag gab, an dem der Himmel nicht von der grauen Farbe eines Eselsfells war.
In den Wochen nach ihrer Ankunft verließ María das Kloster nicht. Ihr Körper und auch ihr Geist brauchten Ruhe. Die Visitation des Ordenslebens, die Revision der Bücher und die Inspektion des Klosters nahmen viel Zeit in Anspruch, denn es handelte sich um eine recht große Gemeinschaft. Nach getanem Tagwerk zog sie sich in ihre Zelle zurück und betrachtete durch ein kleines Fensterchen
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