Die Äbtissin
ihrer Schwester erhalten, in dem diese ihr ans Herz legte, doch bald zurückzukehren. Offenbar gab es keine dringende Angelegenheit, die ihre Anwesenheit erforderlich gemacht hätte, woraus sie schloss, dass man sie vermisste und ihre Rückkehr herbeisehnte. Es war ein warmer, tröstlicher Gedanke in einem Moment, als der Tod ihres einzigen nahen Verwandten erneut ein Gefühl der Verlorenheit in ihr wachrief.
Eines Morgens übermittelte ihr ein Diener eine Einladung Tristán Díaz de Leguizamóns. Darin brachte er seinen Wunsch zum Ausdruck, über Angelegenheiten zu sprechen, die sie beide beträfen. Man könne sich an jedem beliebigen Ort treffen, doch würde er sich geehrt fühlen – dies waren seine Worte –, wenn sie eine Einladung in sein Haus annähme.
Der Wohnturm der Leguizamóns war ein eindrucksvolles Bauwerk aus Quadersteinen. Vor nicht allzu langer Zeit noch war er uneinnehmbar gewesen, doch dann hatten die Könige angeordnet, alle Verteidigungsanlagen abzubauen. Sie hatten so weit wie möglich verhindern wollen, dass sich die Parteien im Inneren ihrer Türme verschanzten, und gleichzeitig unterbinden wollen, dass es zu bewaffnetem Widerstand kam. Doch auch ohne Wehranlagen hatte der Sitz der Leguizamóns sein trutziges Aussehen bewahrt und beherrschte den ganzen Platz.
María betätigte kräftig den Türklopfer und wartete. Als schließlich ein vom Alter gebeugter Diener die Tür öffnete, bat sie darum, zu seinem Herrn geführt zu werden. Ihre Stimme schien bestimmend genug zu klingen, denn der Mann fragte nicht einmal, wer sie war. Wahrscheinlich wusste er es genau, wie jeder in Bilbao. Er trat zur Seite und wies ihr den Weg. Durch einen kleinen Gang gelangten sie zu einem Innenhof, in dem sich einige Männer um die Pferde kümmerten, des Weiteren gab es einen gut gefüllten Hühnerstall und einen Pferch, in dem mehrere Schweine umherliefen. In einem kleinen Gärtchen stand Tristán de Leguizamón, der mächtigste Mann der Biskaya, der Schrecken aller, die ihn kannten, der ärgste Widersacher seiner Gegner, und beschnitt seelenruhig die Blumen. Das Familienoberhaupt war überrascht, sie unangemeldet auftauchen zu sehen, und warf dem Diener einen wütenden Blick zu, weil er zugelassen hatte, dass man ihn bei einer Beschäftigung ertappte, die nicht seinem Ruf entsprach. Er legte die Schere aus der Hand und richtete sich auf, so gut es seine Knochen zuließen. Er schien vergessen zu haben, dass er selbst sie zu sich gebeten hatte.
»Ah! Larreas Erbin… Ihr müsst wissen, Señora, dass ich das Testament anzufechten gedenke und in jedem Fall erreichen werde, dass man mir die Verwaltung des Besitzes überträgt. Jeder Geschworene wird mir Recht geben. Es ist hier nicht üblich, dass eine Frau, und schon gar keine Nonne, Ländereien und Besitztümer verwaltet, solange es männliche Verwandte gibt.«
María ließ ihn reden. Sie empfand große Verachtung für diesen Mann, der über Jahrzehnte seinen Willen zum Gesetz gemacht hatte, doch sie wollte sich nicht von dem Zorn leiten lassen, den die Erinnerung an seine Taten in ihr wachrief.
»Werter Herr«, begann sie, als Leguizamón zu Ende gesprochen hatte, »ich bezweifle sehr, dass Ihr etwas gegen mich unternehmen könnt. Ich wurde offiziell als Tochter König Ferdinands anerkannt, und Ihr könnt mir nicht nehmen, was mir von Rechts wegen zusteht. Ihr tragt die Hauptschuld an meiner Existenz und an dem Schicksal, das meiner Mutter und mir zufiel. Kein Gericht wird Euch Recht geben, selbst wenn es aus Männern Eurer Familie bestehen sollte, die, nebenbei bemerkt, auch die meine ist.«
Das Gesicht Tristáns des Älteren verriet seinen Zorn, und für einen kurzen Moment glaubte María, er werde sich auf sie stürzen.
»Wie kannst du es wagen, zu behaupten, dass ich die Schuld an deiner Existenz trage?«, fragte er wutentbrannt. Er hatte jede Höflichkeit vergessen und spuckte Speicheltröpfchen.
»Weil Ihr es wart, der meine Mutter schlug und bedrohte und sie dann zwang, dem König als Dirne zu dienen.« Sie sprach ruhig, während sie den Speichel von ihrem Habit entfernte. »Ihr habt ihr das Herz gebrochen und ihr Leben zerstört, genauso wie das meiner Großmutter und mein eigenes. Gott wird Euch für Euer Verhalten zur Rechenschaft ziehen, wenn Ihr dereinst vor ihm steht.«
Die Erwähnung Gottes und der Rechenschaft, die er eines nicht allzu fernen Tages würde ablegen müssen, tat ihre Wirkung. Der Alte schien in sich zusammenzusinken, und die
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