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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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von Alterung. Doch plötzlich sagten ihm diese großen, wohl gerundeten Brüsteüberhaupt nichts mehr. Wie viel lieber wären ihm in diesen heiligen Sekunden Ulrikes aufopferungsvolle Hingabe gewesen, ihre Zurückhaltung und die Schutzbedürftigkeit ihrer kleinen Brüste, mit denen sie seinen Kindern geduldig Mut und Widerstandskraft eingeflößt hatte. Und mit einem Mal hatte er das beglückende und irgendwie auch befreiende Gefühl, an die Ursprünge allen Menschseins zurückzukehren, dorthin, wo zwischen Mann und Frau der Grundstein für alles Folgende gelegt wurde. Ja, er würde alles Gewesene streichen und sah, wie hässlich, wie schäbig und widerwärtig er gewesen war. Ja, er würde sich ändern und zu den Gottesfürchtigen zurückfinden. Er würde seinen oftmals unmäßigen Alkoholgenuss zügeln und auch all die anderen schlechten, exzessiv betriebenen Angewohnheiten abstellen und ein guter Mensch werden. Noch war es dazu nicht zu spät, das spürte er!
    Natürlich, dachte Rainer mit Blick auf Ulrike, ist es schwer, an der Seite von jemand zu leben, der aufgehört hat, an sich selbst zu glauben, der verzagt und kleinkrämerisch geworden ist. Trotzdem fühlte er sich willens und stark genug, Ulrike ihre verloren gegangene Anmut zurückzugeben. (Außerdem brauchte er sie, da dachte Rainer weiterhin ganz pragmatisch, gerade jetzt, da er ins Visier irgendwelcher Dunkelmänner geraten war. Nein, ohne sie war er verloren. Denn zweifellos war es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich wieder bei ihm melden würden mit ihren Forderungen.)
    So in Fahrt, hätte Rainer noch ewig weiter mit sich ins Gericht gehen wollen, als plötzlich (als hätte der Allmächtige seine Botschaft vernommen) das dunkle, heruntergedimmte Display seines Handys azurblau aufflammte und der anschwellende Klingelton (Frank Sinatras »I did it my way«) die geradezu sakrale Ruhe im Treppenhaus störte.
    Hastig griff er nach dem Gerät und starrte irritiert auf dasDisplay, auf dem in einem Meer aus Blau das Kürzel FOX schwamm.
    »Hallo?«, sagte er zögerlich und presste das Gerät ans Ohr.
    »Ich bin es!«, hörte er Ulrike sagen. »Hörst du mich?«
    »O ja, ich höre dich! Wie schön!«, sagte er und erhob sich träge wie nach einem kurzen, erfrischenden Mittagsschlaf. Dabei stieß er mit dem Ellbogen gegen den Lichtschalter, und die Deckenbeleuchtung sprang an. Geblendet von dem trüben urinfarbenen Nebel, kniff er die Augen zu, wandte sich um und ging langsam die Treppen hinunter.
    »Komm nach Hause, Rainer!«, sagte Ulrike in ihrer gewohnt großmütigen Art. (Britta hatte ihr zu diesem Schritt geraten, und nach reiflicher Überlegung hatte sie sich dazu entschlossen, über ihren Schatten zu springen, und den ersten Schritt zu tun.)
    »Ja, das mache ich«, antwortete er pflichtschuldig und nahm, im Parterre angekommen, die letzten drei Stufen schwungvoll mit einem Satz. In dem Moment, als die Treppenhausbeleuchtung erlosch, riss er die Tür auf und glitt wie ein Schatten hinaus in die Nacht, deren Hauch sich augenblicklich kühl an seine Schläfen legte. Von der nahen Autobahn blinkten schwach die Schweinwerfer der Autos herüber.
    »Wo bist du?«, fragte Ulrike.
    »Wo ich bin?«, sagte er, wandte sich um und blickte halb betreten, halb erleichtert hinauf zu den inzwischen dunklen Fenstern von Ritas Apartment. »Also, um genau zu sein, auf dem Weg nach Hause.«
    »Ich warte auf dich!«, sagte Ulrike und begann erleichtert zu schluchzen.
    »Ja, ist gut«, antwortete er und lief zum Taxistand an der nächsten Ecke, wo ein Wagen mit eingeschalteter Leuchtschrift auf Kunden wartete.
    »Oh, du hast mir so gefehlt!«, wimmerte Ulrike, überströmend vor Erleichterung.
    »Okay, bis gleich!«, rief Rainer.
     
    I m Begriff, seine Reisetasche (ein altes, abgeschabtes Exemplar der Marke Benetton) für den ihm bevorstehenden Krankenhausaufenthalt zu packen, hätte Helmut, danach gefragt, zweifellos darauf bestanden, dass es ihn von allen Jansens am ärgsten getroffen hatte.
    Er stand im schwarz gekachelten Badezimmer seines Ende der sechziger Jahre gebauten Flachdachbungalows vor der großzügigen, von senkrecht herabstrahlenden Spots umrahmten Spiegelwand und legte, sich hin und wieder betrachtend, mit versteinerter Miene nacheinander folgende Gegenstände in seinen schwarz-rot gestreiften, mit angetrockneten Zahnpastaspritzern gesprenkelten Kulturbeutel: Rasierzeug (das Übliche für jemanden, der sich von jeher nass rasierte), Old-Spice-Aftershave,

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