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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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dass Janek tot war, nichts Besseres zu tun hatte, als umgehend zur Polizei zu laufen und Schlechtes über ihn zu erzählen.
    Was habe ich mir bloß dabei gedacht?, fragte sie sich und gab sogleich Rainer die Schuld an ihrem vorschnellen Handeln. Sie hatte helfen und Licht in die Sache bringen wollen, musste aber bekümmert feststellen, dass sie mal wieder genau das Gegenteil dessen erreicht hatte, was sie bezweckt hatte.
     
    R ainer saß in seinem klimatisierten, rundum verglasten Büro im »Fulda Tower«, starrte das Telefon an und kämpfte halbherzig gegen das heftige Verlangen, Rita anzurufen.
    Rainer trug einen makellosen marineblauen Anzug, ein schneeweißes Armani-Hemd und eine schwarz-weiß gemusterte Krawatte. Er setzte alles daran, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, um wenigstens ein bisschen Ablenkung zu finden von seiner privaten Misere. Sein Kalender war zugepflastert mit Terminen. (Frau Lieberwirth, seine Sekretärin, war wirklich ein Unmensch. Nicht eine einzige Verschnaufpausehatte sie ihm gegönnt!) Für den Mittag standen mehrere Sitzungen auf dem Programm.
    Es war zum Verzweifeln, und Rainer hätte schreien mögen angesichts dessen, was ihm im Moment an haarsträubenden Dingen widerfuhr: Unbekannte wollten ihm an den Kragen, Ulrike drehte durch, sein Führerschein war weg und Janek hopsgegangen. Und zu allem Überfluss (und das konnte er im Moment am allerwenigsten gebrauchen) waren die Jungs aus den USA im Anmarsch. Vor allem aber ging ihm Rita, das Biest, einfach nicht aus dem Kopf. Rainer hatte das Gefühl, auf einem Holzboden zu stehen, der angefangen hatte, an allen Ecken gleichzeitig Feuer zu fangen.
    Kurz entschlossen griff er zum Hörer, las die Nummer von der vor ihm auf dem Schreibtisch liegenden Karte ab, die Rita ihm bei ihrer ersten Begegnung zugesteckt hatte, und wählte die Raststätte. Dabei ließ er sich mit ans Ohr gepresstem Hörer in seinen gut gefederten, mit braunem Leder überzogenen Drehstuhl zurücksinken und gähnte mit Blick auf die vor ihm auf dem Tisch stehenden Fotos von Ulrike und den Kindern.
    »Autobahnraststätte Ebersburg, Rita Heller, was kann ich für Sie tun?«
    »Ich bin’s, der Rainer!«, sagte er mit betont brummigem Timbre (manchmal veränderte er seine eher ausdruckslose, hörbar niederrheinisch gefärbte Stimme am Telefon, um männlicher, sexy zu klingen) und wippte aus seiner Liegeposition zurück in die normale Sitzhaltung. »Ich muss dich sehen, Rita, bitte! So schnell wie möglich! Was ist mit heute Abend? Bei dir?«
    Am liebsten wäre er auf der Stelle aus seinem Büro gelaufen, um in ihren Armen und zwischen ihren Schenkeln fürs Erste abzutauchen.
    »Also von mir aus, um halb zwölf bei mir, okay«, sagte sie.
    Gerne hätte er ihr noch die eine oder andere Schweinerei (die sich vor seinem inneren Auge aufzubauen begann) ins Ohr geflüstert, doch im selben Moment wurde energisch die Bürotür aufgestoßen, und Carola Lieberwirth marschierte mit vorgerecktem Kinn und Stift und einem Notizblock in der Hand herein und rief: »In zehn Minuten erwartet Hassenflug Sie in seinem Büro, danach Besprechungen mit Clausthal und Rust, ab 13.30 die große Runde und um 17 Uhr Bob Shannon und seine Leute.« Und so beendete er das Gespräch abrupt mit einem flüchtigen »Wir sehen uns!« und legte auf.
    Rainer hasste diese Ein-Meter-dreiundsechzig-Person inzwischen inbrünstig für ihre fortgesetzte Taktlosigkeit und ihre enervierend schwungvollen, zumeist unangekündigten Auftritte in seinem Büro, ihre impertinente Art, mit der sie ihn regelmäßig geradezu überfallartig zu stören pflegte, wenn er, versunken in seinen zumeist sexuell konnotierten Tagträumen, die Welt um sich herum vergaß und regelmäßig zusammenfuhr.
    Diesmal jedoch biss er sich auf die Zähne und rang sich ein knappes Grinsen ab.
     
    E lf Stunden später, nachdem sie gemeinsam mit Shannons Leuten im »Da Giancarlo«, Fuldas angesagtestem Italiener, zu siebt nicht weniger als vier Magnumflaschen »GAIA« erledigt hatten (Shannon hatte am Ende mit großer Geste ein poliertes Kirschholzkästchen hervorgezogen und die auf dem Tisch aufgereihten Korken wie Trophäen darin verstaut und wieder eingesteckt), fühlte Rainer sich, als er bei Rita ankam (der Taxifahrer hatte kaum ein Wort Deutsch verstanden; sicher wieder so ein Exilkurde, wie sie hier neuerdings zuhaufherumliefen), leer und ausgelaugt und ziemlich betrunken, von erotischer Aufgeladenheit ganz zu schweigen. In den Mundwinkeln

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