Die Ängstlichen - Roman
schienen kleine unsichtbare Gewichte zu hängen, die jeden Versuch, ein Lächeln zu produzieren, vereitelten. Und die geradezu narkotische Leblosigkeit, die er in seinen Weichteilen registrierte, hatte etwas von einer Lähmung. Die Vorstellung, mit Rita Sex zu haben, löste zunächst nicht das Geringste in ihm aus. Ganz im Gegensatz zum Vormittag, im Büro, als er allein bei dem Gedanken daran das Gefühl gehabt hatte, aus der Haut fahren zu müssen. Sein Haar über dem runden Schädel war verklebt und strähnig, seine Gesichtshaut kalkfarben, und die engsitzende Krawatte hatte im Verlauf der Stunden winzige rote Male an seinem Hals hinterlassen.
Rita präsentierte sich ihm in einem hellrosafarbenen, mit eurogroßen dunkelroten Tupfen gesprenkelten Stretchkleid. Obendrein hatte sie sich die Lippen und die Fingernägel ferrarirot lackiert und sah ihn, barfuß in der offenen Wohnungstür stehend, erwartungsvoll an. (Zu seiner Überraschung weckte die aufreizende Lässigkeit ihrer Aufmachung selbst nach einem solchen Tag nicht mehr für möglich gehaltene körperliche Reflexe in ihm, und kaum dass sie die Wohnungstür hinter sich zugezogen hatte, stürzte er sich auch schon auf sie.)
»Hey, hallo, nicht so stürmisch, ja?!«, rief Rita lachend und versuchte, sich aus seiner Umarmung zu winden. Doch Rainer, der hinter ihr stand und mit der linken Hand bereits ungeniert ihre Brüste knetete, während er mit der rechten zwischen ihre Schenkel tauchte, packte daraufhin fester zu und rief: »Ja, nur zu!«, als sie sich entschlossener wand und zu wehren begann.
»Ey, also wirklich!«, protestierte sie nun gequält, worauf er ihr den Gefallen tat und sie kurz losließ.
»Komm doch erst mal rein!«, sagte sie und zog ihn insWohnzimmer. Auf ihrem Gesicht leuchteten kleine hektische Flecken, und ihre Haare waren aufgeplustert, als hätte sie Sekunden zuvor in eine Steckdose gelangt. Doch schon im nächsten Moment hatte er sie wieder gepackt, presste ungestüm seinen Mund auf ihre Lippen und schob seine Zunge, diese träge kleine Schlange, zwischen ihren Schneidezähnen hindurch.
»Hey, jetzt hör schon auf, Mensch!«, gurgelte sie und stieß ihn von sich. »Was ist denn in dich gefahren, Rainer? Jetzt reicht’s aber, ja?«
Anschließend lief sie mit flatternden Armen schräg rückwärts in die Küche wie ein Taschenkrebs, der im schwindenden Mondlicht vor der zurückkehrenden Flut Schutz zwischen einer Felsformation sucht.
Dort öffnete sie verstimmt den Eisschrank und nahm eine Flasche Prosecco di Conegliano der Marke Maschio heraus.
»Ja, her mit dem Zeug!«, johlte Rainer, als er das trockene Ploppen des Korkens hörte und kurz darauf das helle Klirren von Sektgläsern. Schlapp ließ er sich in einen der beiden schwarzen Ledersessel sinken.
Mit einem Tablett, auf dem die Flasche, zwei Kelche und ein Schälchen mit Erdnüssen standen, kehrte Rita ins Wohnzimmer zurück, schenkte ein und räkelte sich, ihr Glas demonstrativ vor sich hinhaltend, ihm gegenüber auf der Couch. Andeutungsweise prostete sie ihm zu, nippte an ihrem Glas und warf das Haar in den Nacken.
Sie hatte ihre Beine lässig angewinkelt, was Rainers bereits angestachelte Phantasie zusätzlich befeuerte. Und keine fünf Minuten später, nachdem er sein Jackett ausgezogen, seine Krawatte gelockert und seine Boss-Schuhe abgestreift hatte, lag er an sie geschmiegt neben ihr auf der Couch und drückte sein Ohr auf ihren Busen. Er lauschte auf das dumpfe, mehr oder weniger gleichmäßige Pochen darin, das eine beruhigende,einschläfernde Wirkung auf ihn hatte, ihm aber auch vor Augen führte, wie zum Greifen nah dieser weibliche Körper war.
Er beugte sich über sie und kitzelte sie mit einer ihrer eigenen Haarsträhnen im Gesicht. (Nicht, weil er glaubte, es könne ihr besonders gefallen, sondern weil er kürzlich im Fernsehen etwas Ähnliches gesehen und sich vorgestellt hatte, das einmal bei irgendeiner zu machen.) Rita bäumte sich auf und lachte, sagte aber, nachdem er immer weiter die Strähne durch ihr Gesicht strich: »Komm, hör auf! Ich sehe dir doch an, wie es bei dir tickt!«
»Wieso denn? Lass mich doch!«, sagte Rainer ahnungslos.
»Du denkst dir bloß immer alles aus, stimmt’s?«, sagte sie und hielt seine Hand mit der Strähne fest. Denn es reizte sie, wie er war, ordinär und nicht gerade empfindsam.
»Alles denkst du dir aus. Von wegen Kripo! Sogar das hast du erfunden! Vielleicht hast du dir ja auch deine Gefühle für mich bloß
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