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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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abschlagen wollen oder, Ulrike? Willst du das etwa?«, sagte Johanna beschwörend und fühlte, wie auf einmal eine große, ihr selbst ein wenig unheimliche Ruhe sie erfasste.
    »Mutter, so geht das nicht!«
    »Du machst das schon«, sagte Johanna und legte auf. Sie hatte fürs Erste genug von ihrer Tochter und deren Widerrede. Wichtigere Aufgaben warteten auf sie.
     
    V ivinox, Euvegal, Sedacalman, Captagon, Psychotonin Sed, Propra-ratiopharm – den Jansens und denen, die mehr oder weniger direkt zur Familie gehörten, war nichts heilig, wenn es darum ging, ihre flatternden Nerven mit chemischer Hilfe im Zaum zu halten oder sich jene kostbaren REM-Schlafphasen zu sichern, in denen ihre aufgewühlten Seelen Ruhe zu finden suchten. Jeder noch so liberale Apotheker hätte sich zweifellos verwundert die Augen gerieben, hätte man ihm Einblicke gewährt in die mehr oder weniger prall gefüllten Giftschränke in der Ankergasse, der Kölner Straße oder im Hause Taubitz in Fulda.
    Fortgesetzter Medikamentenmissbrauch war bei den Jansens und deren Nächsten seit langem an der Tagesordnung. Es wurde gespritzt, geschluckt und inhaliert, was das Zeug hielt. Janek war eine Zeitlang nachts in Apotheken eingebrochen, weil er seinen sich stetig steigernden Morphiumbedarf in Folge eines Bandscheibenleidens nicht mehr auf legalem Weg zu decken imstande war. Helmut, der seine Nasenschleimhäute seit Jahren mit angeblich abschwellend wirkenden Mitteln wie Cromo-ratiopharm, Nasic, Rhinospray, Otriven, Nasivin oder Wick-Schnupfenspray traktierte (o ja, er kannte sie alle!), hatte soeben die dämpfende Wirkung von Captagon wiederentdeckt. Rainer verwandelte sich ohne seine täglichen 30 Milligramm Propra-ratiopharm in ein cortisolgeschütteltes Nervenbündel und wurde ziemlich schnell zu einer ernsthaftenBelastung für seine Umwelt. Johanna suchte öfter als ihr guttat, über eine Schüssel gebeugt und mit einem Handtuch über dem Kopf, bei heißen Pfefferminzöldämpfen (und dem einen oder anderen Gläschen Doornkaat oder Fernet Menta) Trost und Linderung, wenn ihre Stirnhöhlen ihr zu schaffen machten und ihr das Herz schwer war. Und dass Ulrike sich seit geraumer Zeit lieber der beruhigenden Wirkung eines Präparats namens Sedacalman anvertraute (statt im Fuldaer Telefonbuch nach einem freundlichen Psychotherapeuten Ausschau zu halten, der, mit der Stirnlampe der Furchtlosigkeit bewehrt, gemeinsam mit ihr in die Tiefen ihrer zerwühlten Seele hinabstieg und Licht ins Dunkel brachte), erschien, verglichen mit der Tatsache, dass ihr ältester Sohn Robert soeben seinen ersten LSD-Trip durchzittert hatte, nachdem er auf einer Fachbereichsfete hemmungslos dem superleckeren Schokosplitterkuchen zugesprochen hatte (in dem sich größere Mengen (L)yserg(s)äure(d)iäthylamid befanden) und erst mit Hilfe von 50 intravenös verabreichten Milligramm Valium im Krankenhaus München-Schwabing aus seinen Alpträumen erlöst und von seinem gigantischen Herzrasen befreit werden konnte, geradezu marginal.
    Nur einer von ihnen hatte aufgehört, sein Blut vorsätzlich mit chemischen Fremdstoffen anzureichern. Über die Richtigkeit des Zeitpunkts seines Selbstentzugs konnte man allerdings geteilter Meinung sein. Denn genau betrachtet, hatte Konrads augenblickliche Verfassung nicht das Geringste mit jener vielbeschworenen Normalität zu tun, die alle anderen Jansens mit Hilfe irgendwelcher kleinerer oder größerer chemischer Tricksereien herzustellen versuchten.
    Mit schmerzverzerrtem Gesicht lag Konrad auf seinem Bett im Hotel »Zum Freigericht« in der Freigerichtstraße, im Norden Hanaus, starrte schweißgebadet an die Decke und rissjedes Mal, wenn er wegzudämmern begann, die Augen auf, weil er befürchtete, er könne einnicken und im Schlaf überrascht oder bestohlen werden.
    Seine Kleider waren stark verschmutzt und stanken. Das verschwitzte dunkle Haar hing ihm wirr in die Stirn, er hatte Fieber, und seine Brille hatte trotz der von ihm getroffenen Vorkehrungsmaßnahmen beim Sturz in die Tiefe etwas abbekommen (winzige Risse durchzogen beide Gläser). Konrad machte einen miserablen Eindruck. Allein die Tatsache, dass er Geld besaß und in der Lage gewesen war, das Zimmer für drei Nächte im Voraus zu bezahlen, hatte den Inder an der Rezeption dazu bewogen, ihm den Zimmerschlüssel auszuhändigen.
    Wenn er sich nicht bewegte, war der stechende Schmerz in seinem Bein (das an mehreren Stellen schwer geprellt und oberhalb der Kniescheibe gebrochen

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