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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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war) halbwegs erträglich (von der Schulterprellung und dem Schmerz in der Hüfte ganz zu schweigen). Doch sobald er versuchte, dessen Stellung auch nur geringfügig zu verändern, war es, als stoße ihm jemand ein Messer ins Fleisch, und Konrad heulte auf.
    Inzwischen hatte man in Heppenheim seinen Ausbruch bemerkt und ein paarmal telefonisch versucht, Johanna darüber in Kenntnis zu setzen. Doch entweder war sie gerade außer Haus (um Besorgungen für das anstehende Familientreffen zu machen) oder im Keller (wo ihre Kartoffeln, ihre Briketts und eingemachten Früchte lagerten und sie sich gern länger als notwendig aufhielt, in alten Kisten stöberte und in verstaubten Fotoalben, die sich darin befanden, versunken blätterte). Oder aber sie hatte (die Fernbedienung fest umklammernd) die Lautstärke des Fernsehers in solch exorbitante Höhen geskippt, dass sie das Läuten des Telefons einfach überhörte (was Else Waremme, die Vertreterin des an sich zuständigen Pflegers der Männerstation M 3, Michael Pasulke, dazu brachte,nach mehreren erfolglosen Anläufen, sie zu erreichen, fürs erste von weiteren Versuchen abzusehen; wahrscheinlich, dachte sie, ist sie in Urlaub gefahren).
    Konrad setzte sich schwerfällig auf und drehte eine Zigarette. Seine Finger zitterten. Der Filter fiel ihm hinunter, glitt auf den Boden und trudelte unter das Bett. Er angelte einen neuen aus der offen neben ihm auf dem Bett stehenden Büchse und blies sich etwas Luft über die schweißbedeckte Stirn. Dann leckte er über das Papier, bastelte eine Rolle und sackte zusammen. Mit der linken Hand nahm er das Bic-Feuerzeug vom Nachttisch und setzte die ziemlich windschiefe Rolle in Brand, inhalierte und schloss die Augen.
    Ab und an drangen vom Gang her Geräusche an sein Ohr, näher kommende oder sich entfernende Schritte, gedämpfte Stimmen oder das Quietschen oder Schlagen einer Tür. Dabei fühlte er trotz der Schmerzen manchmal sekundenlang eine beglückende Leichtigkeit in sich aufsteigen. Er war angekommen in der Freiheit, Wand an Wand mit Menschen, die gehen konnten, wann und wohin sie wollten (zumindest dem Gefühl nach war er nun einer von ihnen). Irgendwann aber begann dieser Eindruck zu schwinden und sich mit einer immer größer werdenden Müdigkeit zu vermischen.
    Plötzlich erschien es ihm absonderlich, sich in diesem Zimmer und in diesem Bett liegen zu sehen. Mit seiner rechten Hand angelte er nach seiner auf dem Nachttisch liegenden speckigen schwarzen Lederbrieftasche (an Aufstehen war nicht zu denken). Umständlich zog er daraus die an den Rändern abgewetzte Fotografie hervor, die ihn als jungen Mann (schlank, gut dreißig Kilo leichter, Brille, schwarz, zimtfarbener Anzug, weißes Hemd, schwarzer Schlips, schwarze Lackschuhe) im Hof in der Ankergasse, gemeinsam mit seinem metallicblauen Moped zeigte.
    Konrad ließ die Brieftasche auf die Bettdecke sinken, hob das Foto vor sich in die Höhe. Auf dem Flur herrschte plötzlich eine geradezu unheimliche Stille. »Mein Moped«, murmelte er, »meine Zündapp.« Und dabei dachte er: Du bist nicht allein!
    Wenn du dich ans Fenster setzen würdest, könntest du Autos und Menschen sehen, Kinder, vielleicht sogar einen Hund. Du könntest in ein Café gehen, Kuchen, Schwarzwälderkirsch bestellen und ein Kännchen Kaffee und nach Herzenslust rauchen, HB, Marlboro, Winston, ganz egal, was!
    Dann wieder glaubte er, das Augenlicht zu verlieren, wenn im Zimmer plötzlich alles Licht zu schwinden begann, die Gegenstände grau und konturlos ineinander verschwammen und er das Gefühl hatte, die Hand nicht mehr vor Augen sehen zu können. (Er hatte seit fast zwei Tagen nichts Flüssiges mehr zu sich genommen und begann zu halluzinieren. Sein Rachen war so trocken, dass jedes Mal, wenn er ausatmete und die Luft aus seiner Mundhöhle entwich, ein trockenes Rasseln erklang. Außerdem zeigte der starke Salzverlust im Körper erste Spuren auf seiner Haut, die mürbe geworden war und in den Fingerfalten bereits erste kleine schmerzhafte Risse aufwies.)
    Von Zeit zu Zeit fuhr er sich, wenn er aus seinem Dämmer kurz herauftauchte, mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen und spürte, wenn er die Augen wieder schloss und sein Gehirn wirre, unverständliche Bilder auf seine Netzhäute warf, dass er Hilfe brauchte. (Dass er mit seinem gebrochenen Bein überhaupt so weit gekommen war, bezeichnete Dr. Luxemburger später als ein kleines medizinisches Wunder. Doch noch waren Konrads Freiheitsdrang

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