Die Ängstlichen - Roman
auf ihrer Schulter. Von ihr, die die würzige Raumluft in sachten, gleichmäßigen Zügen einsog und durch die Nase wieder ausstieß, ging trotz der diffus vernehmbaren Stimmen im Hintergrund eine große Ruhe aus. Ben empfand es als äußerst beruhigend, mit jemandem zusammen zu sein, der so gelassen sein konnte wie Iris. Gleichzeitig hatte er sich noch nie so im Mittelpunkt gefühlt. Iris konnte unterhaltsam und sehr komisch sein, strahlte dabei aber stets etwas Konzentriertes aus. Das stete Leuchten in ihren Augen gab ihm Halt und Zuversicht.
Ben überlegte immerzu, wie er das Gespräch beginnen sollte. Am besten, dachte er, ich fange mit einer unverfänglichenBemerkung an, die zielgerichtet ist und doch neutral genug, damit sie sich darauf einlässt, ohne meine Hintergedanken gleich zu durchschauen. Und so sagte er: »Wie lange arbeitest du eigentlich schon in der Bank?«
»Seit sechseinhalb Jahren, wieso?«, antwortete sie.
Auf ihrer Stirn glitzerte ein einzelner dicker Wassertropfen, der sich, wie Ben beobachten konnte, aus ihrem Haar gelöst hatte, sich in Bewegung setzte und auf den Weg machte, hinab auf die tiefer gelegene Sprungschanze ihrer Nase, von wo aus er in den locker drapierten Ausschnitt ihres Bademantels trudeln würde.
»Und vorher?«, sagte er und schlug den Kragen seines Bademantels hoch, weil er zu frieren begann.
»Da hab ich sechs Semester BWL in Frankfurt studiert. Doch als das Angebot kam, bei der Bank anzufangen, hab ich sofort zugegriffen. Habe ich dir das nicht schon erzählt?«
»Glaube nicht«, sagte Ben und beobachtete interessiert, wie ein weiterer Wassertropfen auf ihre Stirn fiel, sich ebenfalls in Bewegung setzte, langsam über ihre Nasenwurzel kroch und dabei auf der trockenen blassen Haut so lange eine winzige, feucht glänzende Spur zog, bis er sich auf dem Nasenbein aufgelöst hatte.
»Muss ja ziemlich aufregend sein, dauernd viel Geld in der Hand zu haben, oder?«
»Ach, alles Routine!«, antwortete sie gleichmütig und legte den Kopf ein Stück in den Nacken, hielt die Augen aber weiter geschlossen.
»Für dich vielleicht«, sagte Ben.
»Wusstest du eigentlich, dass Geld riecht?«, sagte sie, schlug die Augen auf und sah ihn an.
»Dass es stinkt, o ja, das weiß ich«, antwortete er und lachte.
»Nein, im Ernst«, fuhr sie fort. »Es riecht ganz deutlichnach Mahagoni und Metall, und wenn die Scheine neu sind nach Druckerschwärze und Papier. Wenn ich den ganzen Tag Geldscheine in der Hand hatte, dauert es manchmal mehrere Stunden, bis ich den Geruch wieder los bin. Da kann ich mir noch so oft die Hände waschen.«
»Na, dann lass mal riechen«, scherzte Ben, griff nach ihrer locker auf ihrem Bauch liegenden rechten Hand und schnupperte daran. »Mhm, riecht nach mehr!«, sagte er und presste seine Lippen auf ihren leicht nach Kräutern duftenden Handrücken, wobei er sie ein Stück zu sich zog.
»Witzbold!«, gluckste sie und entwand ihm die Hand.
»Schon mal daran gedacht, dass eines Tages einer mit einer Pistole vor dir stehen könnte?«
»Anfangs schon, ja! Aber jetzt nicht mehr.«
»Wieso nicht?«
»Weil Banküberfälle keinen Sinn mehr machen! Die Banken achten inzwischen peinlich genau darauf, dass sich möglichst wenig Bargeld im Haus befindet. Das hat sich inzwischen rumgesprochen, so dass die Zahl der Überfälle drastisch gesunken ist. Außerdem sind die Sicherheitsvorkehrungen in den Filialen heute derart enorm, dass du als Bankräuber praktisch keine Chance mehr hast, ungeschoren davonzukommen.«
»Aber mal angenommen, du bräuchtest hunderttausend. Was müsstest du anstellen, um dir, ohne dass es jemand merkt, eine solche Summe zu besorgen?«
»Darauf gebe ich dir keine Antwort!«
»Das heißt also, dass es dir rein theoretisch möglich wäre, eine solche Summe zu besorgen?«, insistierte er, setzte sich auf und zog die Knie vor den Bauch.
»Was soll das, Ben?«, sagte sie und drehte sich auf die andere Seite.
»Ach, komm schon«, sagte er. Dabei schob er so lange seineFinger in das klamme, dichte Haarnest, bis er ihren warmen Nacken an den Kuppen seiner Finger spürte.
»Lass uns über was anderes reden, ja!?«, sagte sie und wandte sich wieder um.
»Aber es ist gerade so spannend«, sagte er.
»Mich langweilt deine Fragerei aber ehrlich gesagt!«
»Aber wieso denn! Die Vorstellung, unbemerkt einfach mal so hunderttausend abzuzweigen, ist doch verlockend, oder nicht?«
»Nein, ist sie nicht!«, antwortete sie plötzlich ungewöhnlich
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