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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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verheiratet. Zuletzt haben wir in Bremen gewohnt. Aber Hanau ist auch okay, gibt viele Clubs und so.« Und mit Blick auf dieüber dem Tresen an der Wand hängende Uhr fügte sie hinzu: »Mein Mann müsste längst hier sein. Weiß gar nicht, wo der Kerl bleibt!«
    Da er im Fernsehen gehört hatte, man solle sein Handy wegen der Strahlenbelastung möglichst nicht auf der linken, also der Herzseite, in der Sakkoinnentasche bei sich tragen, erklärte er, vom missionarischen Eifer des eingefleischten Hypochonders getrieben: »Sie sollten Ihr Handy, wenn schon, lieber auf der rechten, also der anderen Seite verstauen (wobei er auf ihre rechte Brust deutete), aus Gesundheitsgründen, na, wegen der Strahlenbelastung, Sie wissen schon, und das Geld auf der linken! Ich meine ja nur!«
    Sie hörte sich Bens Erklärung aufmerksam an, großen Eindruck aber schien er damit nicht auf sie zu machen. Und so konterte sie seinen kleinen Vortrag mit der verblüffenden Frage: »Wussten Sie, dass der Teufel auf dem Euro ist?«
    Ben dachte zunächst, sie rede über die satanische Macht des Geldes, und zwang sich zu einem unsicheren Lächeln. Doch im selben Moment legte sie einen der glatt gestrichenen Fünf-Euro-Scheine hochkant vor ihn hin und deutete mit ihrem weinrot lackierten Fingernagel auf die untere Hälfte des Scheins. »Hier, sehen Sie?«
    Ben rückte näher, roch ihr Parfüm, und es war ihm, als tauchte er sein Gesicht in ein Blumenbouquet.
    Tatsächlich konnte man, wenn man wollte, in der Andeutung des südlichen Teils von Europa, der auf der Note nachgebildet war, den Kopf und Oberkörper eines Wesens ausmachen, das von fern an den Antichristen erinnerte. Und so sagte er mit einem überraschten Grinsen: »Tatsächlich. Das ist ja stark!«
    »Steht ja auch in der Bibel«, sagte die junge Frau, und es klang für sie offenbar so selbstverständlich, als bestätige sie die Existenz der Sonne.
    »Was?«
    »Dass der Teufel das Geld beherrscht!«
    »Aha«, sagte er und nickte heftig, was Zustimmung signalisieren sollte, in Wahrheit aber bloß der Versuch war, seine Ahnungslosigkeit zu kaschieren. »Wirklich stark«, wiederholte er und schüttelte dabei demonstrativ den Kopf. Doch weil ihm schon im nächsten Moment ein heftiges Ziehen durch die rechte Gesichtshälfte schoss, hielt er schlagartig inne.
    Er leerte seine Tasse und wartete sehnsüchtig darauf, dass das Tein über den Darm ins Blut und von da über den Blutkreislauf in die Körperzellen gelangte, um vor Ort seine Wirkung zu entfalten. (Doch da jedes Kind weiß, dass die Wirkung dieses Alkaloids erst nach circa dreißig Minuten einsetzt, blieb Ben noch eine gute halbe Stunde, um anderweitig dafür zu sorgen, dass sein Kopf wieder in Ordnung kam.) Zur Sicherheit ließ er sich von Majid eine Alkaselzer geben (in der Hoffnung, deren hoher Azetylsalicylsäuregehalt möge seinem Blut mehr Schwung verleihen und es verdünnen, um so die Zusammenlagerung der Blutplättchen zu unterbinden). Doch bis auf den ekligen Geschmack, den er nach deren Einnahme im Mund hatte (die Brausetablette hatte sich in dem halb vollen Wasserglas gebärdet wie eine am Angelhaken hängende Forelle, hatte sich hin und her gewunden und so gewirkt, als sterbe sie einen qualvollen Tod), tat sich überhaupt nichts.
    Jetzt erst bemerkte Ben, dass seine Nachbarin offenbar lautlos verschwunden war. Denn bis auf einen Fünf-Euro-Schein, den sie neben ihrem leeren Colaglas zurückgelassen hatte, war von ihr nichts mehr zu sehen. Da schloss Ben die Augen, stellte sich Iris vor und versuchte, einen letzten Rest des Parfüms der jungen Frau zu erschnuppern.
     
    W enn man, wie Ulrike in diesen Minuten, aus Fulda über die A 7 kommend, vorbei an Neuhof, Schlüchtern und Gelnhausen, die Ausfahrt Hanau-West nimmt, so erreicht man die so genannte »Weststadt«, jenen »moderneren«, Ende der 60er Jahre errichteten Teil der Stadt, in den sich all jene zurückgezogen haben, die einst in Altkesselstadt, im Schatten der Friedenskirche, lebten und es irgendwann vorzogen, das Weite zu suchen, als die städtischen Ämter dazu übergingen, in den altehrwürdigen Fachwerkhäusern jene sozial schwachen und kinderreichen Familien unterzubringen, die einst die nördliche Gegend um den Tümpelgarten unsicher gemacht hatten. Seither gehörten Schießereien und nächtliche Polizeieinsätze zum Alltag all jener, die sich – aus welchen Gründen auch immer – dazu verurteilt sahen, den Standort zu halten und in ihre Haustüren

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