Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
Sterben betraf, bloß noch Ironie und Verachtung übrig. Jede Nachricht vom Tod eines näheren oder entfernten Bekannten behandelte er wie die bittere, unglückselige Pointe einer dumm gelaufenen Geschichte. Ärgerlich ließ er sich zurück in seinen Sitz gleiten und schloss die Augen, riss sie aber sogleich wieder auf, als Gerster unsanft die Beifahrertür öffnete. (Seit er auf der Toilette gewesen war, waren gerade mal achtundvierzig Minuten vergangen. Bis zu dem Treffen mit Doktor Bender blieben also weitere 25 Stunden und zwölf Minuten.)
    »Na, mein Lieber!«, sagte Gerster, der roch, als hätte er in Aftershave gebadet. »Alles klar?«
    Die Frage irritierte Helmut. Er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss, und kurbelte die Fensterscheibe herunter. »Wieso fragst du?«
    »Nur so«, erwiderte Gerster gelangweilt und ließ den Kopf gegen die Nackenstütze sinken. »Also das Louisegretchen macht mich fertig, kann ich dir sagen!«, begann er und nestelte an seinem schlecht gebundenen Schlips.
    »So? Womit denn?«, sagte Helmut, um weiter von sich abzulenken. Er kurbelte das Fenster wieder hoch und fädelte den Wagen in den um diese Tageszeit spärlichen Verkehr Richtung Frankfurt ein.
    »Ach, du kennst doch die Zicke«, sagte Gerster. »Dauernd hat sie was anderes. Ich sollte sie endgültig rausschmeißen!«
    Eigentlich war alles wie immer: Sie redeten belangloses Zeug, und Gerster gefiel sich in seinem Gejammer über die Frauen. Trotzdem erschien Helmut sein altes Leben plötzlich unerreichbar fern. Ein Punkt, irgendwo da draußen in der Weite und Endlosigkeit des Universums.
    »Die Frau hat einfach einen Knall!«, sagte Gerster, ohne seinen stur geradeaus gerichteten Blick von der Fahrbahn zu lösen. »Schleppt mich dauernd auf irgendwelche tranigen Festevon Leuten, die meine Enkelkinder sein könnten. Ich glaube inzwischen, das Biest macht das ganz bewusst, die will, dass ich mich alt fühle!«
    »Ach, ist nicht wahr?«, sagte Helmut.
    »Und ob«, rief Gerster trocken. »Die ist verdammt gerissen! Wenn sie nicht so ein Goldschätzchen wäre, hätte ich sie schon längst an die Luft gesetzt!«
    Helmut verzichtete auf einen Kommentar und dachte: Wieso bin ich bloß auf die Idee gekommen, Gerster anzurufen?
    »Müssen wir unbedingt ins Sudfass? Ich steh nämlich nicht auf russische Weiber«, sagte Gerster.
    »Dann lass sie doch alleine auf ihre Junior-Feten gehen«, überging Helmut Gersters Bemerkung ganz bewusst.
    »Wen?«, fragte Gerster.
    »Na, das Louisegretchen.«
    »Ach so, ja.«
    »Die erste Runde geht auf mich«, sagte Helmut.
    »Also von mir aus«, rief Gerster und löste lässig per Knopfdruck den Gurt, als Helmut den Wagen im Schritttempo in den Hinterhof des Sudfasses steuerte, wo sich der sogenannte »Kundenparkplatz« befand. Er hielt neben einem nachtblauen 7-er BMW mit Heckspoiler, getönten Scheiben und golden blitzenden Alufelgen.
    »Guck dir die Proletenkarre an«, rief Gerster mit Blick auf den Wagen.
    Die Bar befand sich im ersten Stock, die Kundenzimmer in den beiden Stockwerken darüber. Am Tresen saßen drei Frauen, die ihnen den Rücken zugewandt hatten. Ihre Haare glänzten im Scheinwerferlicht unecht.
    Helmut brauchte ein paar Minuten, um sich an die künstlich erzeugte Nacht, die im Raum herrschte, zu gewöhnen. Die Fenster waren von innen verdunkelt, und die roten undgelben Scheinwerfer tauchten die Szenerie in einen schwülen, unwirklichen Dämmer.
    Helmut hatte sich nach Ablenkung gesehnt, hatte Distanz zwischen sich und seine trüben Gedanken bringen wollen. Doch nun hatte er das genaue Gegenteil erreicht: Die Blicke der leicht bekleideten Frauen, die sich interessiert zu ihnen umdrehten, ruhten auf ihm, und nichts deutete im Augenblick darauf hin, dass er sie so schnell wieder loswerden würde. Helmut atmete tief ein und wieder aus und nahm schließlich neben einer der Frauen Platz.
    »Zum ersten Mal hier?«, sagte die Frau, eine Brünette mit schulterlangem, leicht gelocktem Haar und großen dunklen Augen. Sie sah Helmut fragend an.
    »Wer weiß«, sagte er und gab dem Barkeeper, einem jungen Ausländer mit gegelten, streng nach hinten gekämmten dunklen Haaren, ein Zeichen.
    »Champagner für die Dame«, sagte er halblaut, »und für mich und meinen Freund Pils.« Gerster hatte zwischen den anderen Frauen Platz genommen.
    Normalerweise hätte er in einer solchen Situation die Frau neben sich spontan in eines seiner berühmten Interviews verwickelt. Doch er starrte bloß

Weitere Kostenlose Bücher