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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Spülung und blickte dem, was da laut gurgelnd in grauweißen, scharf nach Klostein riechenden Wasserstrudeln verschwand, erbittert hinterher. Verärgert zog er den Reißverschluss hoch und tappte zurück ins Wohnzimmer. Er fühlte sich, als hätte er einen leichten Unfall gehabt, nichts Gravierendes, kleiner Blechschaden, doch der Schreck saß ihm in allen Gliedern. Dessen ungeachtet überfiel ihn eine plötzliche Müdigkeit. Gähnend schlug er den vor sich auf dem Tisch liegenden orangefarbenen Dunlop-Kalender unter »B« auf, griff nach dem Telefon, tippte Doktor Benders Nummer ein – Helmut hatte den Urologen einige Monate zuvor erstmals auf Empfehlung seines Freundes Reetz wegen einer leichten Prellung des linken Hodens aufgesucht, die er sich dummerweise beim Streichen des Kellers zugezogen hatte, als er mit der Malerrolle in der Hand vom Stuhl gefallen war und der ebenfalls umfallende Besenstiel sich schmerzhaft in seinen Unterleib gebohrt hatte – und schloss das Buch. Dabei fiel sein Blick auf die unter der Couch liegende Otriven-Sprühflasche. (Da hast du dich also versteckt, du kleines Biest!)
    »Urologische Praxis Dr. Bender?«, ertönte eine Frauenstimme.
    »Es ist so«, begann Helmut umständlich, drückte den Telefonhörer kräftiger gegen seine von einem leichten Schweißfilm benetzte Ohrmuschel und sank auf die Knie, um mit dem ausgestreckten freien Arm unter der Couch nach der Sprühflasche zu angeln, »Ich, also, ich habe Blut im Urin«, knurrte er leicht angestrengt, »und wäre froh, wenn wir das zügig abklären könnten! Am liebsten wäre mir noch heute!«
    »Dr. Bender ist bis morgen Mittag außer Haus!«, erwidertedie Sprechstundenhilfe ungerührt, »und anschließend hat er bis zum Abend Termine. Nein, ausgeschlossen!«
    »Aber ich bin ein Notfall«, rief Helmut. Er war schockiert über die herzlose Art, mit der die Frau seiner begründeten Sorge begegnete, und konnte sich nur unter größter Beherrschung davon abhalten, einen unfreundlichen Ton anzuschlagen. (Nun hatte er die Sprühflasche zornig gepackt und zog sie entschlossen unter der Couch hervor.)
    »Dann schieben Sie mich in Gottes Namen irgendwo dazwischen!«, sagte er und hörte, wie auf der anderen Seite geräuschvoll die Seiten eines Kalenders umgeblättert wurden.
    »Dazwischenschieben? Unmöglich!«, entgegnete sie mit dem gleichen arroganten Hochton in der Stimme (Helmuts Adrenalinspiegel schoss in die Höhe). »Oder doch«, korrigierte sie sich, »ich sehe gerade, dass es gegen halb zwei ginge, ja, da könnte ich Sie dazwischenschieben, na gut, ausnahmsweise. Morgen, halb zwei! Aber seien Sie bitte pünktlich. Nur so kann ein reibungsloser Ablauf des Praxisbetriebs gewährleistet werden. Wie war doch der Name?«
    Bestie!, rief Helmut im Geiste aus, während er die helle Kappe abzog und das Sprühventil in sein linkes Nasenloch einführte, doch bevor er das Gespräch, ohne sich zu verabschieden, durch einen ungestümen Druck der Off-Taste beendete, zischte er zwischen seinen Zähnen hindurch: »Jansen, Helmut Jansen!«
    Dabei drückte er mit einer solchen Heftigkeit auf die Sprühflasche, dass ihm deren chemischer Inhalt mit der betäubenden Wucht eines Stromschlags ins Gehirn fuhr, seine Hirnlappen kräftig durchrüttelte und dort auf der Stelle Millionen winzigster Blutgefäße schlagartig zur Erweiterung brachte.
    Vor ihm lag die kleine Ewigkeit von sechsundzwanzig Stunden. Helmut fühlte sich plötzlich ausgelaugt wie nach einemaufreibenden Trainingstag bei 29 Grad im Schatten. Er musste versuchen, die Sache in seinem Kopf nicht größer werden zu lassen, als sie augenscheinlich war, musste sich auf andere Weise ablenken und versuchen, nicht daran zu denken. Doch wohin es einen führte, wenn man anfing, die Wirklichkeit auszublenden oder zu negieren, sah er an seinem Bruder Konrad. Helmuts Kopfhaut juckte, und vor lauter Nervosität begann er an dem Fingernagel seines linken Zeigefingers zu kauen.
    »Nur keine Panik!«, sagte er sich, lief ans Fenster und blickte nach draußen, wo eine Elster auf dem kniehohen Jägerzaun saß und listig (oder war es vielmehr fidel?) mit den blauschwarz glänzenden Schwanzfedern wippte. Beim Anblick des Vogels wurde er plötzlich eifersüchtig und dachte wehmütig daran, wie aufgeräumt er tags zuvor über den Golfplatz geschritten war, um in seiner Funktion als Vorstandsmitglied des Clubs die Schäden zu besichtigen, die das Unwetter hinterlassen hatte: überschwemmte Grüns, matschige,

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