Die Ängstlichen - Roman
in eine grünbraune Schlammwüste verwandelte Fairways und da und dort umgestürzte Bäume, die weggeschafft werden mussten, sobald die Sonne das Gelände abgetrocknet hatte und die Platzwarte in der Lage waren, mit den Aufräumungsarbeiten zu beginnen. Hinterher hatte er in der Clubgaststätte gesessen, zwei Gläser Bier getrunken und Elsa, die italienische Bedienung, mit den üblichen Sprüchen zum Schmunzeln gebracht. Doch nun lief er im Wohnzimmer vor dem Panoramafenster auf und ab, eckte dabei mit den Hüften manchmal an dem aus Nussbaumholz gefertigten und mit zahllosen Alkoholika bestückten Servierwagen (einem Relikt aus besseren, sorglosen Tagen) an und spielte mit dem Gedanken, sich ins Auto zu setzen, um irgendwo auf andere Gedanken zu kommen. Doch wohin sollte er um diese Zeit fahren? Jetzt, am frühen Nachmittag, da McLaherty, Reetz und sein FreundLaaser, Besitzer einer Renault-Vertretung im Norden Hanaus, in ihren Büros saßen und die Supermärkte fest in der Hand einsamer Herzen waren und einen mehr als deprimierenden Eindruck machten? In eine Bar in Frankfurt vielleicht, wo er seine Angst mit ein paar Gläsern verdünnen konnte?
Es musste ein Ort größtmöglicher Anonymität sein, an dem er nicht länger an das erinnert wurde, was in seinem Unterleib vor sich ging. Das konnte im Grunde überall sein, nur nicht bei Johanna, die die schreckliche Gabe besaß, einen Braten hundert Kilometer gegen den Wind zu riechen, und einen mit ihren bohrenden Fragen noch tiefer in die Grübelei stürzte. Am geeignetsten erschien ihm mit einem Mal eine überfüllte Fußgängerzone, in der fröhliche, Eis essende Menschen ihn mit ihrer Ausgelassenheit ansteckten und eine Zeitlang auf ihre lichte Seite zogen. Doch wenn er sich Hanaus bis vor kurzem überflutete, erst jüngst mit billigem Kopfsteinpflaster arg verschandelte Hammerstraße wirklich vorstellte und dabei an die fahlen, erledigten Gesichter der bei Pizza Hut sitzenden Trinker und Arbeitslosen dachte, packte ihn das blanke Entsetzen. Nein, diese Stadt hatte nicht das zu bieten, wonach es ihn im Moment so dringlich verlangte.
Vielleicht sollte er seinen alten Schulfreund Gerster anrufen, der nach einer gescheiterten Vertreterlaufbahn Gebrauchtwagen verschob und in Frankfurt-Nied ein Bordell mit Ukrainerinnen betrieb und, sofern er sich nicht gerade mit Jungs von der russischen Mafia herumschlug, für gewöhnlich um diese Zeit in seinem Apartment in Hochstadt war und Gitarre spielte.
Ja, gute Idee, dachte Helmut. Gerster war zwar eine an sich nervtötende Stimmungskanone, aber imstande, selbst humorresistente Zeitgenossen zum Grinsen zu bringen. Er griff zum Telefonhörer und wählte Gersters Nummer. Und als auf deranderen Seite dessen raue Stimme erklang, ließ er ihn erst gar nicht zu Wort kommen (Gerster würde ihm sonst sogleich wieder mit seinen Weibergeschichten –
»
Du, das Louisegretchen fährt wieder voll auf mich ab« – auf die Nerven gehen) und sagte: »Wie wär’s mit ’ner kleinen Spritztour nach Frankfurt?«
»Jetzt? Um die Zeit?«, raunte Gerster, und Helmut konnte hören, wie er sich umständlich eine Zigarette ansteckte. »Ich bin ja jetzt noch platt von gestern Abend!«, murmelte er, fügte aber sogleich an: »Wo soll’s denn hingehen?«
»Keine Ahnung«, sagte Helmut, »ins Sudfass zum Beispiel.«
»Weiber …? Ich weiß nicht«, kam es aus dem Hörer.
»Unsinn!«, rief Helmut, »bloß ein, zwei Pils, ein bisschen Ablenkung, na komm, was ist?«
Eine kurze Pause entstand, dann sagte Gerster: »Ja, warum eigentlich nicht? Ich geh mir im Moment sowieso nur selbst auf den Keks.«
»Ich bin in einer Viertelstunde bei dir!«, sagte Helmut und stellte sich Gersters immer unaufgeräumtes, von schal gewordenem Parfüm- und Bierdunst durchwehtes Apartment vor.
»Okay!«, antwortete Gerster, und eine halbe Stunde später hielt Helmut vor dessen Wohnung in Hochstadt.
Am liebsten hätte er auf der Stelle seinen Kopf zwischen die großen, weichen Brüste einer Frau gelegt und gehört, wie das Rauschen der Welt bald nur noch gedämpft klang und irgendwann ganz verstummte. Stattdessen nahm er die Otriven-Flasche aus seiner Jackentasche und verpasste seinem linken, seit ein paar Minuten völlig verstopften Nasenloch eine ordentliche Ladung.
All die Jahre über hatte er es verstanden, den Tod aus seinen Gedanken auszuklammern, denn er hatte aus nächster Nähe erfahren, was der Tod anrichten konnte. So hatte er seither füralles, was das
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