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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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und rüttelte wie ein in die Enge getriebenes riesiges Raubtier an allem, was nicht niet- und nagelfest war. An eine Fahrt zu Janeks Werkstatt war unter diesen Umständen nicht zu denken.
    Ben stand noch immer am Fenster, und auf seine Netzhäuteprojizierten sich beängstigende Bilder: Auf der Philippsruher Allee knallte eine Holzplanke auf den nassen Asphalt, Ziegel flogen von den Dächern und zerbarsten auf dem Bürgersteig. Sicherungen brannten reihenweise durch, es kam zu Stromausfällen in weiten Teilen der Weststadt. In der Burgallee stürzte ein Strommast in einen Vorgarten, wirbelte die funkensprühende Leitung wie ein überdimensionales glühendes Lasso durch die stromschwangere Luft, zerschlug das Vordach eines Hauseingangs, zersplitterte Fensterscheiben zu Millionen gelber Glitzersteine und pflügte ein Tulpenbeet um, ehe er sich, ein letztes Mal vom Wind herumgerissen, noch einmal aufrichtete und zurück auf die Straße katapultiert wurde, wo er zischend und kreiselnd so lange auf der Stelle tanzte, bis er seitlich umfiel und im Zu-Boden-Gleiten die Kühlerhaube eines Wagens eindrückte, aus der dampfendes Wasser aufspritzte.
    Mit einem Mal hatte Ben das irritierende Gefühl, Janek am Ende der gleißenden, pfeilschnell über den Himmel eilenden elektronischen Ladungen sehen zu können, sein wie mit Glühdrähten sekundenlang in die Schwärze modelliertes Gesicht. Und hätte er nur lange genug auf seiner Illusion bestanden und an seine herbeigesehnte Offenbarung geglaubt, so hätte sich das optische Wunder womöglich sogar erfüllt. Denn keine drei Kilometer von ihm entfernt saß Janek in seinem Wagen, durchnässt vom Herumirren im strömenden Regen, und dachte an ihn.
    Durch die milchige Autoscheibe las er, was auf einer Plakatwand stand: AUF ALLEN MEEREN ZU HAUSE – REISEN MIT IHRER MARCO POLO – ZUM BEISPIEL NACH SÜDAMERIKA!
    Janek blies den Rauch seiner Zigarette gegen die Windschutzscheibe, welche die Glut immer wieder sekundenlang als kleinen roten Punkt reflektierte, und beobachtete, wie hinterden beschlagenen, nassen Scheiben die Lichter Hanaus zusehends schwanden. In Kürze musste er Dreyfuss’ Leuten die geforderte Summe übergeben: 90   000 Euro in bar.
    Er wusste nicht, warum er solche idiotischen Sachen machte, warum er sich und andere mit seiner Spielsucht in Bedrängnis brachte. Er wusste nur, dass er die Gefahr brauchte, um zu spüren, dass er am Leben war. Ein Spiel musste einen potentiellen Verlust bedeuten, um interessant für ihn zu sein. Darin war er so ganz anders als sein um zwei Jahre jüngerer Bruder Andrzej, der stets versucht hatte, sein Ziel auf legalem Weg zu erreichen, inzwischen aber metertief in der polnischen Erde lag.
    Ein bei hoher Geschwindigkeit geplatzter Hinterreifen hatte seinen Wagen in einem Wäldchen unweit von Sosnowiec aus der Spur getrieben, sie waren ins Schleudern geraten, das Fahrzeug war seitlich ausgebrochen und kurz darauf frontal gegen einen Baum geprallt. Andrzej musste ebenso wie seine Frau Julita auf der Stelle tot gewesen sein.
    Janek wusste, dass er sein Glück, wenn überhaupt, nur auf den Um- und Nebenwegen des Lebens finden würde. Ein schnelles, flüchtiges Glück, kurz und rauschhaft.
    Er versuchte sich vorzustellen, wie alles ablaufen sollte. Denn noch hatte er keinen Plan. Der Regen trommelte auf das Dach des Wagens. Das Wasser strömte in so dichten Wellen über die Autofenster, dass die Lichter der Geschäfte ringsum zu glasigen Schlieren verliefen. Und wenn zusätzlich eine kräftige Windböe von der Seite gegen den Wagen stieß, war es, als schaukele er über eine aufgebrachte See. Das gefiel ihm. Genau wie ihm die Vorstellung gefiel, Dreyfuss zu überlisten.
    In wenigen Stunden lief die Frist, die der ihm gewährt hatte, ab. Und eine einfache Lösung gab es in diesem Fall nicht mehr. Trotzdem umspielte auf einmal die Andeutung eines Lächelns Janeks Lippen.
     
    W ährend Janek den Rauch seiner Reval ausstieß, stand weiter westlich, 2,8 Kilometer Luftlinie entfernt, Helmut im Keller seines Flachdachbungalows und erfreute sich an der Schließdichte seiner neuen, doppelt verglasten Kunststofffenster. Im Raum herrschte eine trockene, behagliche Wärme. Von außen drang ein Geräusch zu ihm herunter, als schlage eine aufgebrachte Meute ihre Knüppel wieder und wieder gegen sein Gemäuer. Dazu das näher kommende Heulen einer Polizeisirene.
    Nachdem er in den peitschenden Regen hinausgerannt war, um das schlagende Gartentor des

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