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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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lange die Reset-Taste, bis er über weiteres fünfmaliges Betätigen derselben zur Menü-Startseite zurückgekehrt war und der Bildschirmschoner, ein aus ruhelos über das dunkle Display wandernden hellen Kreisen und winzigen graphischen Elementen bestehendes Bild, aktiviert wurde. Er legte das Gerät auf den Beifahrersitz, ließ den Motor an und fuhr los.
    Er hatte mit einem Mal den Eindruck, lange fort gewesen zu sein, und kam sich dabei wie der Verursacher eines Grubenunglücks vor, den es nach ungeduldigem, von heftigen Schuldgefühlen begleitetem Ausharren unter Tage ans grelle Licht zurückgespült hatte, wo er denen, die nach Erklärungen verlangten, überzeugend Rede und Antwort zu stehen hatte.
    Ulrike konnte es sicher kaum erwarten, ihn nach allen Regeln der Kunst zu filetieren. Und Rainer wusste: Ihre Wut hätte sicher leicht ausgereicht, um eine ganze Horde Männer in die Flucht zu schlagen.
    Schlecht gelaunt jagte er (mit einer nicht unerheblichen Menge Restalkohol im Blut) die Tachonadel über die Höchstgeschwindigkeitsgrenze (als müsse er nur schnell genug fahren, um Ulrikes Zorn zu entkommen), stemmte seinen Fuß beharrlich auf das Gaspedal und flog über die Autobahn hinweg, so dass all jene, die gemäßigt auf dem rechten Streifen fuhren, wirkten, als stünden sie. Und er wäre zweifellos noch länger mit strammen 210 und eingeschaltetem Fernlicht über die aschgraue Piste hinweggefegt, wäre nicht unversehens im Rückspiegel ein Polizeiwagen aufgetaucht, der mit eingeschaltetem Blaulicht bedrohlich schnell näher kam und ihn, daran bestand kein Zweifel, ins Visier genommen hatte.
    Entgeistert drosselte Rainer die Geschwindigkeit, zog den Wagen ruckartig auf die rechte Spur und spürte im selben Moment, dass seine Misere im Begriff war, eine neue Stufe zu erklimmen. Und sogleich liefen all die unwürdigen Momente der letzten Tage und Stunden noch einmal vor ihm ab: die unsäglichen Vorfälle in der Kantine, der peinliche Verlust seiner Unterlagen, Ulrikes Verbitterung und auch sein letztlich missglückter Versuch, bei einer Frau wie Rita all das zu vergessen. (Während sie mit verdrehten Augen, in den Nacken gelegtem Kopf und hüpfenden Brüsten auf ihm geritten war, hatte er immerzu Ulrikes wutverzerrtes Gesichts vor sich gesehen.) Und nun zur Krönung das: Polizei im Anmarsch, wie bei der Verfolgung eines Verbrechers!
    Im Außenspiegel verfolgte Rainer beklommen das Herannahen des Streifenwagens, und völlig absorbiert von seiner Angst dachte er: Es ist Unsinn, zu glauben, seinem vor langer Zeit vorbestimmten Schicksal entrinnen zu können.
    Früher hatte es ihm Spaß gemacht, sich fremde, bizarre Lebensformen vorzustellen und sich in andere Zusammenhänge hineinzuphantasieren, so wie man am Rechner eine markierte und anschließend aus einem Bildkontext herausgeschnittene Figur per Mausklick in einen anderen versetzte. Inzwischen aber, das hatten ihn all die Jahre als Geschäftsmann, Ehemann und Vater schmerzlich gelehrt, wusste er, dass es nur dieses eine Leben gab und das Klicken im Bedarfsfall nicht half.
    »Mein Vater macht aus jeder Fliege einen Elefanten«, hatte Rainer seinen Sohn Carl einmal zufällig am Telefon klagen hören. Dabei habe ich doch bloß versucht, ihm zu erklären, dass das Leben kein Honigschlecken ist, hatte er sich später gesagt. Okay, vielleicht habe ich hier und da ein wenig übertrieben, gestand er sich ein, während das Polizeifahrzeug ihm ziemlich unsanft den Weg abschnitt und ihn zum Drosseln seiner Fahrgeschwindigkeitzwang. Aber ich wollte immer, dass er es einmal besser haben wird als ich.
    Paralysiert starrte er auf den inzwischen vor ihm fahrenden Streifenwagen und das unterhalb des sich drehenden Blaulichts installierte Laufband, auf dem nun in rhythmisch aufleuchtenden Lettern »Bitte folgen!« stand. Mit der Fußspitze auf dem Gaspedal kam er zögerlich der Aufforderung nach, bis der vor ihm fahrende Wagen in eine Haltebucht abbog.
    Am liebsten hätte er auf der Stelle einen der zahllosen dunklen Knöpfe und Regler am Armaturenbrett betätigt, sofern es ihm dadurch möglich gewesen wäre, sich auf der Stelle in Luft aufzulösen. Stattdessen nahm er die Kaugummis aus dem Handschuhfach, löste einen aus dem stark nach Minze duftenden Stanniolpapier und schob ihn sich in den Mund. Dann beobachtete er beklommen, wie vor ihm, keine zwanzig Meter entfernt, die Fahrertür des Streifenwagens aufging.
    Der Beamte stieg aus, nahm seine Dienstmütze von der Ablage an

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