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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Geschichte. Nüchtern, offen und ein glänzender Redakteur. Frei von jeder Art von Allüre. Ganz im Gegensatz zu Ben selbst, der bei allem, was er tat, das Gefühl hatte, nicht das zu tun, was an sich zu tun gewesen wäre, und nicht der zu sein, der er eigentlich sein sollte. Ständig hatte er das Gefühl, unter seinen Möglichkeiten zu bleiben und sich an eine Sache zu verschwenden, die es nicht wert war, dass er ihr seine Gedanken und Gefühle schenkte.
    Ben fühlte sich zu Höherem berufen, auch wenn er nicht hätte sagen können, worin dieses Höhere genau bestand. Also verfasste er weiter zähneknirschend Kolumnen, Spielberichte und Porträts von Sportlern, die dieses imaginäre Höhere erreicht hatten und repräsentierten, vielfach bekränzte und mit satten Preisgeldern und Medienaufmerksamkeit verwöhnte Ausnahmegestalten, die gewunden in sein Mikrofon sprachen und ihn kurz in der Aura ihres Erfolgs und des Glamours duldeten, ehe sie entschwanden (und ihn manchmal mit einemAutogramm entlohnten), während er in seine Welt der Tabellen, Tore und Transferlisten zurückkehrte und Texte über sie schrieb, die mehr über ihn sagten als über sie.
    Doch seit er Iris kannte, war er diesbezüglich entspannter geworden. Iris hatte ihm eine Art Kurswechsel verordnet, hatte sein Denken sanft korrigiert und seinen Blick in eine andere Richtung gelenkt.
    Seit sie ein Paar waren, nahm er alle paar Minuten sein Handy aus der Tasche, um zu sehen, ob sie ihm eine Nachricht geschickt hatte, die zu all den anderen in seiner Sprachbox hinzukam, die ihm in wechselnden knappen Wendungen das immer Gleiche sagten, nämlich dass sie ihn liebte und sich nach ihm sehnte. Und wenn er an sie dachte, sah er Bettzeug und sie beide darauf liegen, schweißglänzend und in der Stille keuchend, mit ihrem Haar als Schatten auf dem Laken.
    Ben sonnte sich in Iris’ Zuneigung und genoss die rückhaltlose Art, mit der sie, die Ältere, ihm gegenüber von ihren Gefühlen sprach. Dabei lag die Zeit, in der er von so etwas nur träumen konnte, noch gar nicht lange zurück. Eine Zeit, die, wenn er daran dachte, mit dem gleichen magischen Bild begann: dem Bild der wegen Renovierungsarbeiten an der Hausfassade vorübergehend von außen mit Plastikfolie verklebten Fenster seiner Zwei-Zimmer-Wohnung, durch die hindurch er, eines Nachts in der Küche stehend, in Form eines beinahe kreisrunden Loches gespäht und den Ausschnitt eines hell erleuchteten Badezimmerfensters erhascht hatte, in dem eine unbekleidete junge Frau am Waschbecken stand und sich mit einem Lappen immer wieder, versunken und in zärtlichen, unendlich langsamen Kreisbewegungen, über ihre nackten Brüste fuhr. Wie in Trance oder einer Art Ritual. Dabei hatte sie den Kopf mit den langen, lockigen dunklen Haaren sacht hin und her gewiegt, so als spiele darin Musik, verloren und zart.
    Anfangs hatte Ben gedacht, er träume. Doch auch in der darauffolgenden Nacht war die Frau wieder da gewesen. Und in der übernächsten ebenfalls. Bis eines Tages die Folien, in denen sich nachts manchmal der Wind verfing und gespenstische Laute erzeugte, vor den Fenstern verschwanden und mit ihnen die Frau.
    Wenn Ben sich später an die Frau im Fenster erinnerte, dachte er an sie wie an eine einstige ferne Geliebte, und die Sehnsucht nach ihr schnürte ihm den Hals zu. Lag er in den folgenden Nächten wach, versuchte er sich sehnlich ihr Gesicht vorzustellen und phantasierte von einer möglichen Begegnung mit ihr. Auch viel später noch ertappte er sich, wenn er nach Hause kam, manchmal dabei, wie er, vor dem Haus stehend, hinüber zu dem anderen und zu seinen Fenstern spähte, in der Hoffnung, die Unbekannte möge in einem von ihnen erscheinen und ihn von der Vorstellung befreien, langsam verrückt zu werden. Doch dann war er Iris begegnet, und seine Gedanken an die Frau im Fenster verblassten.
    »Es ist so«, begann Heidmann plötzlich, räusperte sich und ließ die Hände kraftlos in den Schoß sinken, »dass sich hier in Kürze vorübergehend einiges ändern wird!«
    »Was meinen Sie?«, erwiderte Ben beunruhigt. (Er hatte gewusst, dass so etwas eines Tages geschehen würde, aber gehofft, dieser Tag liege in ferner Zukunft.)
    »Ich werde mich einem kleineren Eingriff unterziehen müssen, nichts Ernstes, wie ich hoffe«, fuhr Heidmann fort und schielte betreten an sich hinunter. (Er hat es am Magen?, dachte Ben erschrocken. Nein, es ist die Bauchspeicheldrüse! Oder vielleicht doch eher die Leber? Genau

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