Die Ängstlichen - Roman
betrachtet, sah Heidmann wirklich nicht gut aus. Seine Haut war grauer als sonst und schuppig. Und sogleich registrierte Ben, wie seine Hände feucht zu werden begannen.)
Nun hat es also Heidmann erwischt, dachte Ben, und er spürte, wie die Angst konkret wurde: vor Krebs, vor der Zukunft, die sich ihm von Minute zu Minute düsterer darstellte. Und, am schlimmsten, davor, dass er nichts dagegen unternehmen konnte. Natürlich war da immer noch Iris, und natürlich hatte er sich bis vor wenigen Minuten großartig gefühlt. (Weshalb also in Panik verfallen?, hörte er sie im Geiste sagen.) Trotzdem spürte er, dass Heidmanns Ankündigung in ihm zu wirken und dessen Bedrückung auf ihn überzugehen begann.
»Es ist doch sicher nichts Schlimmes!«, warf Ben beschwichtigend ein. Dabei sah er Heidmann mitfühlend an und hoffte auf prompte Bestätigung. Doch diesen Gefallen tat Heidmann ihm nicht.
»Sie haben einen gewissen Verdacht«, antwortete er, blieb aber vage, was Bens Phantasie nur noch beflügelte.
»Fürs Erste wird Baumann hier sitzen. So lange, bis klar ist, was wird. Ich weiß, Baumann und Sie sind, na ja, wie soll ich mich ausdrücken …«, sagte Heidmann, und Ben sah seine Chancen, auch weiterhin für den »Anzeiger« schreiben zu können, im Sekundentakt schwinden. Denn Baumann, das wusste auch Heidmann, war kein Freund von Bens Art, kleine alltägliche Geschichten aus der Welt des Sports zu pathetischen Meditationen über das Leben an sich aufzublasen. Baumann war ein Verfechter klarer Worte, ein Realist, wie er im Buche steht: pedantisch, phantasielos, sterbenslangweilig.
»Für Stimmungsmalerei«, so Baumanns Worte einmal im Beisein von Ben, der hin und wieder an Ressort-Sitzungen teilnahm, »sind, mit Verlaub, die Kollegen von der Kultur zuständig. Wir hier berichten über Siege, Niederlagen und Rekorde. Das alleine interessiert die Leute. Wer im entscheidenden Moment die Nase vorn gehabt hat, und wer auf der Strecke geblieben ist.«
Heidmann hatte Krebs, daran bestand für Ben kein Zweifel, und der Geruch des Todes, so meinte er plötzlich wahrzunehmen, drang bereits ungehindert aus sämtlichen Poren seines befallenen Körpers. Hilflos zog er, um nicht länger sein betreten schweigendes Gegenüber anstarren zu müssen, sein Handy aus der Tasche und drückte wahllos irgendwelche Knöpfe. »So, Baumann also!«, raunte er dabei konsterniert. Und es war sicher nur eine Frage der Zeit, bis das typische Brennen seiner Mundschleimhaut beginnen würde.
Baumann hatte das Naturell eines Dobermanns, der nur darauf wartete, dass ihm jemand in die Quere kam. Dagegen wirkte Heidmann wie ein Golden Retriever, knuffig, sanft und geradezu anschmiegsam. Ben selbst fühlte sich unterdessen wie ein herrenlos gewordener Pudel, dessen Flanke sich ebenjener Dobermann mit sabbernden Lefzen näherte. Und da war es wieder, dieses altbekannte Gefühl, in seiner reinsten, archaischsten Form. Ein Gefühl, das alle anderen Gefühle in Sekundenbruchteilen pulverisierte und wegfegte wie Tage zuvor das Unwetter das, was nicht niet- und nagelfest gewesen war: ANGST.
Denn die Aussicht, von Baumann zunächst degradiert und schließlich früher oder später aussortiert zu werden, würde zweifellos einschneidende Folgen für ihn haben. Er würde sich seine kostspieligen Vitamin-B12-Präparate nicht länger leisten können und dadurch früher oder später vor seinen Mundhöhlenentzündungen kapitulieren müssen. Von all den anderen, ohnehin kaum bezahlbaren Präparaten gegen Zwölffingerdarmgeschwüre, trockene Haut oder zur Stärkung seiner in den Keller gesunkenen Abwehrkräfte, die sich in seinem Badezimmerschrank drängten, ganz zu schweigen. Kein Zweifel: Seiner Welt drohte der Kollaps. Dabei hatte er immer gewusst, dass vieles und noch so Gegensätzliches gleichzeitig möglich war: Kommunismus und Kapitalismus, Bürgerkriegund Massenhochzeiten, Flugzeugentführungen und Fünflingsgeburten, die kraftspendende Liebe einer Frau wie Iris und die Krebserkrankung eines Heidmann. Eines aber blieb aus seiner Sicht immer gleich: dieses Sirren in seinen Schläfen. Denn Leben, diese Erfahrung hatte er nun abermals machen müssen, hieß, seiner Definition folgend, sich ängstigen müssen. Vor Krankheiten. Vor anderen Menschen (und deren Krankheiten) oder vor den schmutzigen Bomben oder Milzbrandviren irgendwelcher Terroristen.
»Sobald ich klarer sehe, melde ich mich bei Ihnen!«, holte Heidmann Ben in die Gegenwart zurück, erhob sich
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