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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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aus seinem Sessel und streckte ihm, der immer noch auf seinem Stuhl unter dem Bild mit den strahlenden Siegern von einst saß, die Hand hin.
    Kurz darauf schlich Ben durch die halb leeren, vom Geruch abgestandenen Kaffees durchwehten Redaktionsräume Richtung Aufzug (Wilfert hatte seine Männer zur täglich stattfindenden 16-Uhr-Konferenz in seinem Zimmer um sich versammelt) und konnte aus den Augenwinkeln bei einem letzten Blick über die Schulter sehen, dass Heidmann noch immer im Flur vor seinem Zimmer stand und winkte.
    Er glaubt nicht an ein Wiedersehen, durchfuhr es Ben eisig.
    Er trat in den Fahrstuhl, drückte den vorletzten Knopf, worauf sich die Tür klappernd schloss. Nach einem kurzen Stocken sackte die Kabine in den engen lichtlosen Schacht, und Ben hatte das Gefühl, hinabzutaumeln in eine große schwarze Leere.
     
    J ohanna presste in Erwartung, die Stimme ihres Sohnes Helmut zu hören, vergeblich den Telefonhörer ans Ohr. Helmut wartete, bereits örtlich betäubt, in Dr. Benders »UrologischerPraxis« darauf, dass dieser endlich zur Tat schritt und mit der Sonde in seiner Hand unter den forschenden Blicken seiner medizinischen Assistentin Julia herausfand, wo sich das furchteinflößende Leck in seiner Harnblase befand. Rainer war dabei, einen in Maschinenschrift an ihn adressierten grauen DIN-A4-Umschlag aus dem Briefkasten zu nehmen, der ihn gänzlich aus seiner Umlaufbahn schleudern sollte. (Zwanzig Sekunden nach dem Herausnehmen des Umschlags und dessen anschließender flüchtiger Lektüre, so die Annahme des Absenders, würde es so weit sein.) Und während Ulrike 2,9 Kilometer Luftlinie von ihrem Haus entfernt darauf wartete, dass die in der Bachstraße entstandenen Schockwellen sie erreichten, sank Ben, von Heidmanns Offenbarungen getroffen wie eine im Flug erlegte Amsel, auf sein Bett (auf dessen Laken sich noch schwach Iris’ Konturen, die in der Nacht dort gelegen hatte, abzuzeichnen schienen) und rang mit zusammengekniffenen Lidern nach Luft. Janeks Name war im Begriff, auf für Johanna erschütternde Weise für immer aus den Registern des Einwohnermeldeamtes Hanau getilgt zu werden, und nur der zu allem entschlossene und von seiner Fluchtidee vollkommen berauschte Konrad schien unempfindlich gegen die gefahrvollen Ladungen in der Luft zu sein. Sobald die Nacht sich über die sanft geschwungenen Hügel des Odenwalds breitete, würde er zum Sprung aus dem Fenster ins Gebüsch des Sanatoriumsgartens ansetzen.
    Die Jansens waren in ein gigantisches elektrisches Feld geraten, und riesige, zwischen Hanau (Pluspol), Fulda und Heppenheim (jeweils Minuspole) hin und her gehende Elektronenmengen waren im Begriff, die Endpunkte miteinander zu verbinden, so dass es nur noch eine Frage von Tagen, ja möglicherweise Stunden war, bis es zur alles erschütternden Entladung kam.
    Kurz nach Mitternacht stand Konrad überreizt zwinkerndam geöffneten Toilettenfenster im ersten Stock der Männerstation M 3 des Psychiatrischen Krankenhauses Heppenheim. Bleiches Mondlicht lag über den in leichten Dunst gehüllten Bäumen, Büschen und Sträuchern. Das angesägte Gitter hatte er bereits entfernt und hinunter in die nahezu konturlose Schwärze geworfen. Um seinen von einer gleichmäßig dicken Fettschicht umgebenen Körper und seine Hände zusätzlich gegen die Härte des Aufpralls besser zu schützen, hatte er mehrere Pullover übereinandergezogen, sich ein Bettlaken um den Bauch gewickelt und seine durchgescheuerten Lederhandschuhe übergestreift.
    Ein letztes Mal horchte Konrad gespannt auf verdächtige Geräusche aus den Schlafräumen, doch alles war ruhig. Dann ließ er die Plastiktüte mit seiner Brille vorsichtig die Außenwand hinuntergleiten (er hatte sie zum Schutz in ein Handtuch gewickelt und zusammen mit seinem Messingkamm und seiner Brieftasche in die Plastiktüte gestopft), stieg keuchend auf den Heizkörper, zwängte seinen schweren, gänzlich untrainierten Körper durch das kantige Fensterloch und ließ sich, Arme und Beine wie ein Fötus im zu eng gewordenen Bauch angezogen, blindlings hinabfallen in die Tiefe.
    Der Schlag kam so plötzlich und hart und der Schmerz nach dem Aufprall auf dem feuchten Erdboden war so groß, dass er nur eines denken konnte: Lass es nicht das Ende sein!
    Konrad hatte sich den Tod niemals qualvoll, sondern stets als sanftes Auslaufen seiner Lebenswelle an einem gleißend hellen, feinkörnigen Sandstrand vorgestellt, an den es ihn, über alle Zeitgrenzen hinweg und

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