Die Ängstlichen - Roman
Bein gestützt, blickte er hinauf in die Schwärze, wo im Anflug auf den Rhein-Main-Flughafen im Abstand weniger Sekunden immer neue Maschinen auszumachen waren. Mit eingeschalteten Landestrahlern tauchten sie aus dem Dunkel hervor, nahmen Gestalt an, setzten zur Landung an und verschwanden hinter den kurz im Schein ihrer Lichter erkennbaren dichten Baumkronen.
Weiter westlich waren als matter orangefarbener Abglanz Frankfurts Lichter am Firmament auszumachen, so als stünde die Konstablerwache oder die Zeil in Flammen.
U nd was willst du jetzt machen?«, sagte Britta und nippte mit hochgezogenen Brauen an ihrer Teetasse.
»Na, was wohl?«, entgegnete Ulrike entschlossen, »abwarten natürlich! Der wird schon kommen, und dann ist der so groß mit Hut, das kannst du mir glauben!«
Sie fixierte mit Daumen und Zeigefinger eine Spanne von der Größe einer Briefmarke. Die Genugtuung, die sie dabeiempfand, war unübersehbar. Immer wieder in den letzten Tagen hatte sie sich ausgemalt, wie es wäre, wenn Rainer zu ihr zurückkehren würde, reuevoll und kleinlaut.
»Meinst du? Also, ich weiß nicht«, antwortete Britta und setzte ihre Tasse auf dem Unterteller ab. »Schließlich ist Rainer keiner dieser Schluffis, die draußen das Maul aufreißen und zu Hause kuschen.«
Ulrike konnte sich über Brittas Einschätzung nur wundern, denn bislang hatte sie sie diesbezüglich eher für unsensibel gehalten und geglaubt, Rainer sei Luft für sie.
Britta musste an ihren eigenen Mann Klaus denken, der jeder Art von Konflikt aus dem Weg ging. Klaus würde es niemals gewagt haben, auf eine solche riskante Weise, wie Rainer es offenbar getan hatte, mit dem Feuer zu spielen und seine Ehe zu riskieren. Einerseits war Britta froh, dass Klaus war, wie er war. Andererseits hätte sie manchmal gern ein bisschen mehr Wagemut beim ihm gesehen. Doch anders als Rainer war Klaus alles andere als selbstbewusst. Dafür war er treu. Rainer dagegen hatte in ihren Augen echte Macherqualitäten, besaß Durchsetzungsvermögen, hatte Biss und eigene Visionen und war obendrein großzügig und manchmal sogar verschwenderisch. Und seit er Klaus unter seine Fittiche genommen hatte und ihn bei Gelegenheit hier und da sanft protegierte, war aus der Dankbarkeit, die Britta zunächst für ihn empfand, Bewunderung geworden. Ja, Rainer gefiel ihr.
»Rainer weiß, wann es ernst wird. Das hat er immer gewusst!«, sagte Ulrike und ließ ihren Blick nachdenklich über Brittas silberfarbenen Pagenschnitt wandern und schien jede einzelne Strähne argwöhnisch zu fixieren. Dabei dachte sie: Wie alt sie ganz plötzlich geworden ist! Und dieser Haarschnitt! Diese Farbe! Mein Gott, wie unpassend, affig geradezu. Wir sind ja nun weiß Gott keine dreißig mehr, dass wir wie Hippiesrumlaufen müssen. Und wie sie zugelegt hat … Warum treibt sie denn nicht mal Sport?
Im selben Moment nahm Britta ihren Taschenspiegel heraus, klappte ihn demonstrativ auf und prüfte, indem sie ihr Gesicht zunächst leicht nach rechts, dann nach links drehte und dabei den Kopf schräg legte, den Zustand ihres Make-ups und den ihrer an streng frisiertes Lametta erinnernden Haare.
»Rainer hat eben Format«, sagte Britta schmeichlerisch und zupfte ohne Ulrike anzusehen an einer Strähne. »Da könnte Klaus sich echt mal die eine oder andere Scheibe abschneiden.«
Brittas auf dem Tisch liegendes Handy klingelte, und weil auch der Vibrationsmechanismus aktiviert war, tanzte das Gerät auf der Resopalplatte im Kreis herum wie ein Tropfen Wasser auf einer kochend heißen Herdplatte. (Beim Anblick des surrenden, mit ansteigender Klingeltonlautstärke vibrierenden Handys musste Ulrike an den kleinen Freund in ihrer Nachttischschublade denken.)
Britta schnappte danach und drückte die Sprechtaste, hielt das Handy ans Ohr und hauchte (so als sei Hugh Grant am anderen Ende und nicht etwa Klaus, der sie anrief, damit sie ihn bei seiner medizinischen Fußpflegerin Silke Hollerbach um die Ecke abholte) mit aufgesetzter Lieblichkeit: »Ja? Aber ja, Schatz, natürlich. Ganz wie du willst, bis gleich!« Dann beendete sie, eine Oktave höher, das Gespräch.
In mehr als fünfzehn Jahren, die sie einander inzwischen kannten, war Britta für Ulrike zu einer Art Kummerkasten geworden, bei der sie ungeniert ihre Sorgen abladen konnte. Britta war solidarisch und verschwiegen und fühlte sich, den Eindruck hatte Ulrike jedenfalls, geradezu geadelt, wenn sie sie traf, um ihr ihr Leid zu klagen und sie in
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