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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sich in die dafür bereitgestellte Nierenschale aus Edelstahl legte. Dann räusperte er sich und streifte mit zwei, drei routinierten Handgriffen die dünnen, glibberigen mehlweißen Plastikhandschuhe ab. (Das Räuspern, diese Ahnung stieg jäh in Helmut auf, verhieß nichts Gutes.)
    »Wie es aussieht«, begann Doktor Bender, »führt ein Fremdkörper in der Harnblase zu den festgestellten und von Ihnen beschriebenen Blutungen. Dabei kann es sich um einen Blasenstein handeln. Auch kann ein sonst wie von außen in die Blase hineingeratener winziger Gegenstand der Auslöser Ihrer Beschwerden sein. Im ungünstigsten Fall aber handelt es sich um einen Tumor. Um Letzteres auszuschließen, werden wir weitere gesonderte Untersuchungen vornehmen müssen. Eingriffe dieser Art sind allerdings nur stationär möglich. Fräulein Hahn am Empfang wird die nötigen Schritte veranlassen und Ihnen einen Termin im Krankenhaus machen. Sie werden mit zwei, drei Tagen Aufenthalt rechnen müssen.«
    »Verdacht auf Krebs?«, erwiderte Helmut und spürte, wie ihm ein säuerlicher Geschmack über die Zunge lief (der Geschmack des angekündigten Todes?).
    Doktor Bender, ein kleiner sehniger Zeitgenosse mit verkniffenen, nervös blinzelnden Augen, struppigem, sich starr an den sonnengebräunten Schädel schmiegendem grauem Haar und einem ebenfalls grauen, akkurat getrimmten Schnauzer,spähte über die Ränder seiner auf die Spitze seiner Hakennase heruntergerutschten blauen Designerbrille. Dabei ergriff er Helmuts Hand und tätschelte sie ein paarmal. »Sich Sorgen zu machen, Herr Jansen, ist im Augenblick wirklich nicht angezeigt. Lassen Sie uns die weiteren Untersuchungen abwarten. Aber seien Sie auf alles vorbereitet! Auf Wiedersehen!«
    Das saß. Helmut schnappte nach Luft wie ein Faustkämpfer, dem sein Gegner kurz vor dem Schlussgong der zwölften Runde soeben den entscheidenden Hieb auf die Milz verpasst hatte, und grub hilflos seine Hand in die Jackentasche, die Sprayflasche suchend. Und ehe er etwas sagen oder eine Reaktion zeigen konnte, war Doktor Bender auch schon aus dem Behandlungszimmer verschwunden.
    Helmut hörte, wie sich draußen auf dem Gang eine Tür öffnete und wieder schloss. Schwerfällig erhob er sich aus dem Behandlungssessel, beseitigte mit einem Papiertuch die Reste des betäubenden Gels von den Schenkelinnenseiten. Anschließend zog er Unterhose und Hose über (wobei er sah, dass seine Hände zitterten), stieg in seine Schuhe und lief mit offenen Schnürsenkeln hinaus.
    Am Empfangsdesk lagen bereits die für die stationäre Weiterbehandlung nötigen Unterlagen bereit. Das Rattern eines Druckers ertönte. Helmut griff nach dem braunen Umschlag und taumelte aus der Praxis.
    Er öffnete seinen Wagen, warf den Umschlag auf den Beifahrersitz und klemmte sich hinters Steuer. Plötzlich begriff er, der selbsternannte Superatheist, dass sich, sofern der Allmächtige aus lauter Langeweile auf die Uhr sah und seine Zeit kurz entschlossen für abgelaufen hielt, bald alles ändern würde. So gesehen, konnte Helmut nicht auf Beistand von oben hoffen. Im Gegenteil: Wie es aussah, holten die Himmlischen zum Gegenschlag aus.
     
    U lrike zog, nachdem sie unter den entsetzten Blicken der anderen Gäste fluchtartig das Café Bauers in Fuldas Fußgängerzone verlassen hatte, zitternd das Handy aus ihrer Handtasche und schrieb Britta folgende SMS: HILFE * KOMM SO SCHNELL DU KANNST ZUM BAUERS ZURUECK * ULRIKE * Und während ihr SOS mit Blitzgeschwindigkeit durch den Äther geleitet wurde, um Brittas Handy in den Tiefen ihrer GUCCI-Handtasche aufzuspüren und per aktiviertem Vibrationsalarm in kurze, elektroenergetische Zuckungen zu versetzen, versuchte Ben erfolglos, Iris anzurufen, um ihr mitzuteilen, was geschehen war (aus irgendeinem Grund hatte sie ihr Mobiltelefon ausgeschaltet).
    Mit Ausnahme von Johanna, die noch das Jahrhundert der großen Kriege erlebt hatte, als Zweiundzwanzigjährige das Ende des Zweiten Weltkriegs und Nazi-Deutschlands Kapitulation, waren die Jansens Geschöpfe des 21. Jahrhunderts: offen, kommunikativ und auf dem neuesten Stand. Sie zappten, simsten, surften oder mailten nach Herzenslust. Und der Umgang mit EC-, Master-, Prepaid- oder Barmer-Chipkarten gehörte für sie längst zu den Selbstverständlichkeiten ihres Lebens. (Nur Helmut scherte diesbezüglich aus: Er besaß weder ein Handy noch einen Anrufbeantworter. Beides hatte er bereits vor geraumer Zeit hinunter in den Keller geschafft, weil er sich

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