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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Ulrike sich darauf geliebt, ein kurzes unwürdiges Aneinandergereibe, Gedrücke und Gestoße, von dem noch heute unzweideutige, mit der Zeit allerdings verblasste Flecken im Cord daran erinnerten, welch grandioses Desaster sie an dieser Stelle fabriziert hatten.) Kurz bevor das erste Kind kam, hatte noch manchmal eine derart große erotische Spannung zwischen ihnen geherrscht, dass Rainer das Gefühl hatte, nach deren Entladung die höchste Stufe der Freiheit und des Losgelöstseins von allem Irdischen erlangt zu haben. Dann kam er sich vor wie ein Bernstein, der ins Meer fiel, träge hinabsank und mit jedem Meter, den er in die Tiefe glitt, schwereloser wurde. Doch das war lange her und schien Teil eines anderen Lebens zu sein, in das es kein Zurück mehr gab. Genau betrachtet war Rainer sogar froh, dass diese Zeit der erotischen Verblendung hinter ihm lag. Ulrike war – sexuell betrachtet – eine Art Anzug, aus dem er herausgewachsen war. Für das, wonach ihn im Bett verlangte, waren längst andere zuständig: kleine unzüchtige Biester in schreiend roten oder purpurfarbenen Korseletts und Strapsen, die ihm ihre ausgefahrenen lackierten Krallen in den Rücken stießen und jaulten, während er an ihnen seinen Hunger nach Dominanz stillte.
    Hätte er sich in diesen Minuten nicht derart verletzlich gefühlt, so hätte er wohl nichts gegen eine schnelle Nummer gehabt, um seine Verkrampfung zu lösen und abzubauen. Er dachte an Rita und wie sie ihn geritten hatte.
    O ja, ja, ja, hatte er sich schreien gehört, verwirrt von all den durch sein alkoholisiertes Hirn spukenden Phantasien. Vielleicht, dachte Rainer plötzlich, kommt es allein aus diesemGrund zu all diesen Frauengeschichten, weil ich bei ihnen brennen und wie Hephaistos, der Gott des Feuers, meine Glut entfachen kann? Dass er Ulrike damit zu einem Kampf herausforderte, den er (das wusste er natürlich) nicht gewinnen konnte, hielt er vor dem Hintergrund der aktuellen Situation trotzdem für ein eher marginales Problem.
    Unbekannte und offenbar zu allem entschlossene Mitwisser seines Fehltritts hatten ihm die Zerstörung seiner Existenz angekündigt. Und wie es aussah, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie losschlugen und sein Lügengebäude zum Einsturz brachten. Das allein nahm ihn in diesen Minuten, da er schlaff in die Schwärze seiner noch immer geschlossenen Lider starrte, gefangen.
    In der Diele läutete das Telefon. Ein gleichförmiges Schrillen, das sich penetrant vor die durch Rainers Bewusstsein schwebenden Phantasien schob.
    Unablässig wehten Klingeltöne herüber. Offenbar gehörte der Anrufer zur Spezies jener Sadisten, die ihr Telefon zu terroristischen Zwecken missbrauchten. Rainer war so sehr mit seinem Groll beschäftigt, dass er erst mit leichter Verzögerung registrierte, dass der Anrufbeantworter nicht ansprang. Offenbar hatte Ulrike, die sich, seit er sie kannte, täglich zwischen halb zwei und drei Uhr ihren Mittagsschlaf gönnte (auch so ein Luxus!, dachte Rainer), vergessen, den Stecker wieder zurück in die Buchse zu schieben. Und so drang das Läuten weiter ungehindert an sein Ohr. Bis er genug hatte, zornig aufsprang und hinüber in die Diele lief. Genau in dem Moment aber, da er den Hörer erreicht hatte, verstummte das Läuten. Abrupt hielt Rainer in seiner Vorwärtsbewegung inne, starrte entgeistert das Telefon an und stieß einmal kurz und heftig Luft zwischen den Zähnen hervor. Gereizt machte er auf dem Absatz kehrt, als es erneut zu klingeln begann.
    »Ruhig Blut«, murmelte er wie zu einem imaginären Gegenüber, das im Begriff war, die Nerven zu verlieren, »ganz ruhig«. Dann griff er wie in Zeitlupe nach dem Telefon, dessen eisblaues Display eine Kölner Nummer anzeigte, sah, wie sich seine blassen, dunkel behaarten Finger um den Hörer legten, drückte die Sprechtaste und sagte nach kurzer Pause: »
Taubitz!
«
    »Ich bin’s!«, erklang die forsche Stimme seines Sohnes Carl. »Wieso geht denn keiner ran? Ist Mami nicht da?«
    »Nein!«, antwortete Rainer kurz und trocken.
    »Bist du krank?«, fragte Carl.
    »Was soll die Frage …«, blockte Rainer knurrig ab. Wieso war es ihm nicht gestattet, auch tagsüber mal zu Hause zu sein, ohne dass gleich Tod und Teufel dahinter vermutet wurden?
    »Ertappt, ertappt!«, skandierte sein Sohn und keckerte blechern.
    Rainer, der gebannt auf das Muster im Läufer starrte, zuckte bei dem Wort »ertappt« zusammen und konnte sich nur über die Impertinenz seines Sohnes

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