Die Ängstlichen - Roman
umklammerte, dass sie sich schließlich kraftlos ergab und hemmungslos schluchzend in den Armen der jungen Frau zusammenbrach.
F rau Jansen? Johanna Jansen?«, sagte der Beamte und hielt ihr seinen Dienstausweis hin.
»Ganz richtig, Jansen!«, antwortete Johanna, nestelte, wie sie das stets tat, wenn sie nervös war, an ihrer Bluse und sah die beiden Männer verdutzt an. »Ja bitte, worum geht es?«
»Kriminalpolizei. Mein Name ist Bellmann, und das ist mein Kollege Markowitz.« (Der andere streckte ihr ebenfalls seinen Ausweis hin.) »Dürften wir kurz reinkommen?«, fuhr der zweite Beamte, ein kleiner, mit einem blauen Blazer, Jeans und hellen Slippern bekleideter Mann, fort.
»Polizei?«, antwortete Johanna entgeistert und trat beiseite. »Was ist denn …«
»Es tut mir leid, Frau Jansen«, begann nun der ältere der beiden, Bellmann, nachdem sie am Küchentisch Platz genommenhatten, »aber wir müssen Ihnen eine traurige Mitteilung machen.«
Johanna hielt jäh in ihrer Vorwärtsbewegung inne und legte, alarmiert wie ein Hund, der eine ungute Witterung aufgenommen hat, den Kopf leicht in den Nacken. »Ich verstehe nicht«, sagte sie und hielt sich an der Tischplatte fest.
»Heute früh«, sagte der Beamte, »wurde in Steinheim, am Mainufer, der Wagen Ihres Lebensgefährten, des Herrn Knapik, sichergestellt. Im Wagen fanden sich ein Abschiedsbrief von ihm sowie erhebliche Mengen Blut. Wie es aussieht, handelt es sich dabei um sein eigenes. Darüber hinaus wurde ein ebenfalls blutverschmiertes Messer gefunden. Derzeit, so hat es jedenfalls den Anschein, weist alles auf ein Selbsttötungsdelikt hin. Was ich sagen will, ist: Der Verdacht liegt nahe, dass Herr Knapik sich das Leben genommen hat.«
»Selbstmord?« Johanna sah die beiden Männer verdutzt an. »Janek hat sich umgebracht?«
»Wann haben Sie Ihren Lebensgefährten das letzte Mal gesehen?«, fragte nun der andere Beamte, Markowitz. Johanna überlegte fieberhaft, denn sie wollte unter keinen Umständen etwas Falsches sagen (spürte aber, wie eine schwere Welle des Entsetzens auf sie zuzurollen begann). »Vor vier, nein, vor fünf Tagen, also ich meine, am vergangenen Donnerstag.«
»Hatte Herr Knapik irgendwelche Feinde? Oder ist Ihnen in letzter Zeit sonst irgendetwas Ungewöhnliches an ihm aufgefallen? War er anders als sonst? Deprimiert vielleicht? Oder hatte er Probleme mit der Gesundheit? Hat er sich unwohl gefühlt, oder wirkte er bedrückt? Oder gab es Probleme finanzieller Art? Jeder noch so kleine Hinweis von Ihnen kann uns unter Umständen weiterhelfen!«
»Feinde?«, wiederholte Johanna verwirrt, hilflos angesichts all der Fragen. (Die Welle hatte sie nun erfasst, so dass sie zuden üblichen Reaktionen in einer solchen Situation zunächst nicht fähig war.)
»Lassen Sie sich mit Ihren Antworten ruhig Zeit«, sagte der jüngere Beamte und blickte sich interessiert im Raum um.
»Ich habe mich gefragt, weshalb er nicht nach Hause kommt?«, antwortete Johanna geistesabwesend (sie rang mit den Tränen und hegte kurz den Gedanken, den Beamten von Janeks Spielleidenschaft zu erzählen, ließ es aber bleiben).
»Können Sie uns etwas über seine Gewohnheiten sagen? War er Raucher? Hat er getrunken?«
»Er raucht und trinkt manchmal nach dem Essen einen Schnaps«, wisperte Johanna, die wegen des dicken Kloßes in ihrem Hals kaum noch Luft bekam, und versuchte, sich den Wagen vorzustellen, die blutverschmierten Sitze und das Messer. Dann sagte sie halblaut und mit still bebenden Lippen: »Kann ich den Brief sehen? Sie sagten doch etwas von einem Abschiedsbrief!«
Markowitz zog eine in der Mitte geknickte Klarsichthülle hervor, in der sich ein Schriftstück befand, und legte es vor ihr auf den Tisch.
Argwöhnisch und mit feuchten Augen zog Johanna ihre Brille aus der Seitentasche ihrer Kittelschürze, schob sie fahrig auf die Nase und überflog das Geschriebene. Doch schon ein flüchtiger Blick genügte, um jede Hoffnung auf eine mögliche Verwechslung augenblicklich zunichte zu machen. Der Brief stammte von Janek. Niemand sonst, den sie kannte, formte die Buchstaben auf diese fast kindlich akkurate Weise. (»Du schreibst nicht, du malst«, hatte sie einmal spöttisch zu ihm gesagt, als sie beobachtete, wie er einen Brief an seine Schwester in Madagaskar schrieb. Daraufhin hatte er sie erstaunt angesehen.)
»Das ist seine Schrift!«, fiepte Johanna. Noch einmal las sie das Geschriebene.
Das Leben ist sinnlos für mich geworden.
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