Die Ängstlichen - Roman
damals waren, in ihrem ersten gemeinsamen Urlaub nach Jugoslawien gefahren waren (ockerfarben leuchtende Strände, schrillende Zikaden, Cevapcici, schwerer blutroter dalmatischer Babic und der süßlich-herbe Geruch von Sonnenmilch auf Ulrikes Haut, im offenen Seitenfenster das azurblau leuchtende Meer); und er musste an die Kinder denken und an das Glück, das sie für sie bedeuteten. An seinen Wohlstand, die Wohnung in Spanien, den Wagen. Doch warum fiel ihm das ausgerechnet jetzt ein? Er wusste es natürlich: Weil sie plötzlich in ihrer Existenz bedroht waren und das alles unter Umständen bald Vergangenheit sein würde! Dinge, die er die ganze Zeit über mehr unbewusst als mit klarem Verstand in sich getragen und geliebt hatte, das begriff er schlagartig, würden eins nach dem anderen verschwinden, einfach so, wenn er nichts gegen die Bedrohung unternahm! Bloß weil es jemand darauf anlegte, ihn zu zerquetschen wie eine Laus. Doch er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er diesem Angriff begegnen sollte. Und woher hatten diese Fremden überhaupt ihr Wissen? Nur er und Ulrike wussten von seiner kleinen Trickserei.
D u bist zu Hause? Arbeitest du denn nicht?«, erklang es aus dem Flur, und Rainer dachte genervt: jetzt auch noch die, das hat mir gerade noch gefehlt!
Im nächsten Moment stand Clara vor ihm. Doch zu seiner Verwunderung trug sie nicht, wie sonst um diese Zeit, ihren weißen Kittel, die hellen Clogs und den lässig heruntergezogenen Mundschutz, sondern einen dunklen Mantel und Lederstiefel. Um den Hals hatte sie einen von Ulrikes buntenSeidenschals geschlungen. Ihre rechte Hand umklammerte den Griff einer Reisetasche.
»Wie du siehst! Was dagegen?«, antwortete er.
»Nein, ich frag ja nur.«
»Was soll die Tasche? Willst du verreisen?«
»Ich fahre zu einer Freundin.«
»Was für einer Freundin?«, sagte er und trat von einem Bein auf das andere.
»Einer Freundin eben. Und tu doch nicht so, als würdest du auch nur eine einzige meiner Freundinnen kennen.«
Im Grunde war es ihm egal, was Clara trieb und wen sie traf, solange ihm daraus keine Probleme entstanden.
»Ihr habt gerade ein Tief, oder nicht?«, sagte sie unvermittelt und stellte die Tasche neben sich auf den Boden.
»Wer ihr?«, fragte er irritiert und schob den Briefumschlag möglichst unauffällig in seine Gesäßtasche. »Die Firma?«
»Nein, Mami und du!«
»Wie kommst du denn auf die Idee?«, antwortete er schnell und versuchte, dabei möglichst entrüstet zu klingen.
»Und weshalb ist hier dann neuerdings dicke Luft, hm?«
»Dicke Luft? Blödsinn!«, widersprach er reflexartig, über Jahrzehnte gewohnt, die Fassade auch und vor allem den Kindern gegenüber aufrecht zu erhalten.
»So, Blödsinn?«, erwiderte sie, und machte keinerlei Anstalten, nach ihrer Tasche zu greifen.
»Ja, aber ganz gehöriger!«, blaffte er und suchte nach einer Formulierung, die ihrer Unterredung ein möglichst rasches Ende bereitete. Er sagte: »Du solltest dich lieber darum kümmern, dass dein Laden da unten endlich besser in Schwung kommt, statt ungefragt dümmliche Vermutungen über deine Mutter und mich anzustellen.«
So, das hat gesessen, dachte er, und atmete zufrieden aus.Doch offensichtlich hatte er den Mut seiner Tochter unterschätzt. Denn kaum dass er das Gefühl hatte, ihre Nachfrage im Keim erstickt zu haben, sagte sie unerschrocken: »Das ist ja mal wieder typisch: Mami scheint’s nicht gut zu gehen, und du tust so, als wäre nichts.«
»Pass auf, was du sagst, ja?«, sagte er und sah sie ernst an. Ihr Gesicht schien von innen heraus zu glühen. Das war immer so, wenn sie energisch zu sein versuchte. Dann wurde ihre Haut durchscheinend, als erforderten die Dinge plötzlich einen anderen Kraftaufwand.
»Willst du mir drohen, bloß weil ich sage, wie es ist? Du kannst doch nicht leugnen, dass hier irgendwas nicht stimmt!«
Rainer konnte sich nur darüber wundern, wie respektlos sie ihm gegenübertrat. »Unser Gespräch ist beendet!«, rief er in die Stille der Wohnung hinein.
Er sah, dass sie ihn ansah, doch die Art, wie sie es tat, verunsicherte ihn plötzlich. Wortlos ließ sie ihren Blick langsam von unten nach oben gleiten, bis sie ihm entschlossen in die Augen sah und sagte: »Du bist so blöd!« Dann nahm sie ihre Tasche und verschwand.
W ieso hast du dein Handy ausgeschaltet, verdammt noch mal?«, fragte Ben schroff und platzte, ohne Iris’ Antwort abzuwarten (weil seine Ungeduld genauso groß war wie sein
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