Die Ängstlichen - Roman
anderen Umständen hätte er zweifellos seinen Gefühlen freien Lauf gelassen, denn er hing auf zwar distanzierte, aber doch recht innige Weise an Janek, der, ähnlich wie für Ulrike und Konrad, auch für ihn zu einer Art Ersatzvater geworden war, nachdem sein wirklicher Vater Paul nicht mehr in der Lage gewesen war, diese Rolle auszufüllen. Doch erschöpft von dem Eingriff und dem stundenlangen Herumlaufen im Regen, war er bloß noch zu betretenem Schweigen fähig.)
Schweigend saßen sie einander wenig später gegenüber und lauschten auf das wiederkehrende trockene Ächzen der beiden Kastanien draußen im Garten.
K urz vor Frankfurt, sie näherten sich der Stadt von Westen her, setzte heftiger Regen ein. Der Wind warf die Wasserfäden millionenfach gegen die Scheiben, ein Wolkenbruch,ähnlich dem Unwetter, das gerade erst seine Spur der Verwüstung durch die Region gezogen hatte, Bäume entwurzelt, Dächer abgedeckt und die hessischen Flüsse in reißende Ströme verwandelt hatte. (Es schien, als sei das meteorologische Monster, dieser funkenspeiende und nach Chaos und Zerstörung hungernde Riese zurückgekehrt, um sich erneut gegen das Land zu erheben und um zu Ende zu bringen, was es wenige Tage zuvor begonnen hatte.)
Der bereits schwankende Ginnheimer Spargel kämpfte sich mühsam aus der Schwärze, darunter flimmerten schwach die Lichter Bockenheims wie die eines nächtlichen, aus der Luft fotografierten und von zahllosen, die Gräber umstehenden Kerzen beleuchteten riesigen Friedhofs. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die ersten Feuerwehrsirenen unter das Heulen des Sturms mischen würden.
Der junge Mann umklammerte das Steuer seines Wagens inzwischen mit beiden Händen, um den mächtigen Böen, die immer wieder versuchten, sie seitlich von der Fahrbahn zu schubsen, zu trotzen. Seine Freundin saß angespannt daneben und rieb, seitlich über das Lenkrad gebeugt, vergeblich mit einem Tuch über die beschlagene Frontscheibe. (Hatte sie ein halbwegs passables Guckloch in den milchigen Film gewischt, zog er sich auch schon wieder zu. Das Gebläse schien kaputt zu sein.)
Konrad konnte ihre Anspannung deutlich spüren, genoss es aber, dahinzugleiten durch das Unwetter wie ein von seinem Chauffeur durch die stürmische Nacht kutschierter Baron und dachte zufrieden: Wer den Sprung aus einem Fenster in fast vier Metern Höhe überlebt, dem kann doch so ein läppisches Gewitter nichts anhaben, pah! Nur manchmal, wenn die Reifen, vom Wasser unterspült, nicht mehr richtig griffen und durchdrehten und der Wagen kurz und so heftig schlingerte, dass die Frau, ehe er wieder Halt fand und in die Spurzurückdriftete, spitz aufschrie, durchfuhr Konrad eine sanfte Beklemmung.
Das Rot der in kurzen Abständen ruckartig aufflammenden Bremsleuchten der vorausfahrenden Autos breitete sich jedes Mal wie ein vor ihnen am Himmel explodierender Feuerwerkskörper sternförmig auf der Windschutzscheibe aus, zerfaserte in zahllose glitzernde Garben und erlosch.
»Wie, sagten Sie noch mal, ist das mit Ihrem Bein passiert?«, fragte die Frau, an Konrad gerichtet, ohne sich zu ihm umzudrehen. Sie sagte es nur so, rein rhetorisch, um irgendetwas zu sagen, das sie ablenkte von dem, was gerade um sie herum geschah.
»Bin von einem Moped angefahren worden«, stöhnte Konrad.
»Ach, ja genau, sollen wir Sie vielleicht ins Krankenhaus bringen?«, schlug sie halbherzig vor und begann wieder mit ihrem Tuch zu hantieren.
Konrad ignorierte ihre Frage und rief stattdessen von hinten: »Dreht doch endlich die Fensterscheiben runter!« Konrad griff nach der Kurbel auf seiner Seite. »So wird das doch nie was!«
»Aber wie denn, bei dem Regen?«, erwiderte die junge Frau eingeschüchtert. »Unmöglich.«
»Er hat recht!«, rief ihr Freund und versuchte, den mal von links, mal von rechts von den Schüben bedrängten Wagen in der Spur zu halten. »Mach schon, was er sagt. Ich seh ja kaum noch was.« Missmutig drehte die junge Frau daraufhin ihre Scheibe bis zur Hälfte herunter, worauf augenblicklich ein sich steigerndes Rauschen das Innere des Wagens erfüllte und Wasser hereinflog, vom Fahrtwind hereingepeitscht.
Über die sich in einer langgezogenen Rechtskurve Richtung Universität spannende Kennedyallee glitten sie durch Bockenheim, bis sie schließlich vor der Messe links zum Hauptbahnhofabbogen. Auf dessen Höhe rief Konrad von hinten: »Anhalten!«
Er sah aus dem Fenster, wo diffus der Haupteingang des Bahnhofs zu erkennen
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