Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)
sein Handy aus der Tasche.
»Himmel«, sagte Annabel, »die Handys sind heutzutage echt cool ! Kann ich mal sehen?«
Er klappte es auf und sah auf die Uhr: 23:30 – nur noch eine halbe Stunde, dann würde Beatrice für immer zu den Untoten gehören.
Er stupste Beatrice an, die sich noch immer flüsternd mit ihrer Mutter unterhielt. »Beatrice«, sagte er, »du hast nur noch eine halbe Stunde!«
Sie sah ihn mit feuchten Augen an. »Und? Das hier ist der Ort, wo ich sein will.«
»Tut mir leid«, sagte Annabelle zu Ralph, »aber das geht dich wirklich nichts an. Meine Tochter bleibt hier, bei mir.«
Ralph spürte, dass ihn jemand am Arm zog. Neben ihm stand Annabel und klimperte mit ihren langen Wimpern. »Du könntest doch auch zu uns kommen«, sagte sie. »Das geht ganz einfach.«
Du lieber Himmel!
»Woher weißt du eigentlich, dass sie nur noch eine halbe Stunde Zeit hat?«, fragte Annabelle.
»Es ist fast Mitternacht«, erklärte Beatrice gedankenverloren ihrer Mutter.
»Fast Mitternacht!«, rief Annabelle. »Das Grenz-Rennen fängt um Mitternacht an!«
»Ja, und?«, fragte Beatrice.
»Ich bin die Königin. Deshalb bin ich die Reiterin der Untoten«, antwortete Geisterkönigin Annabelle.
»Dann komme ich mit!«, sagte Beatrice.
»Wie du willst, mein Liebling. Und du …« Sie zeigte auf Ralph. »Du hast keine andere Wahl. Es sei denn, du willst hier unten bei den Geistern bleiben.«
Annabel schloss die Tür der Steingaleone ab. »An die Oberfläche!«, rief sie. Und Ralph sah, dass sich die unsichtbaren Diener mit ihren Kerzen um den Schiffskörper herum aufstellten, und schon stieg das Schiff durch den massiven Fels hinauf.
58. Kapitel
Wie soll man bei einem Schiff, das keine Bullaugen und erst recht kein Deck hat, wissen, wohin es sich bewegt? Nach oben, so vermutete Ralph. Denn die Neigung war so stark, dass er sich nicht mehr auf den Füßen halten konnte. Die Felswände bewegten sich immer schneller, bis der Fels wie ein reißender Fluss an den nicht vorhandenen Schiffswänden vorbeiströmte. Die stickige Luft an Bord kühlte eine frische Brise. Während sich das Schiff seinen Weg durch Gesteinsschichten unterschiedlicher Dichte bahnte, war den Insassen der Kissenberg in der Mitte sehr willkommen.
Nach einer Weile wurde der Fluss aus Fels heller. Dort, wo die Galeone den Fels durchschnitt, sah man jetzt Wurzeln und kleine Lebewesen, die sich im Boden angesiedelt hatten. Zwischendurch stürzte ein untoter Maulwurf auf das geisterhafte Felsschiff. Ehe das arme Tier wusste, wie ihm geschah, wurde es auch schon von einem unsichtbaren Diener entsorgt. Als massiver Fels in eine Schicht aus grobem Kies überging, dann der Kies in Schlick und schließlich in sandiges Erdreich, erreichte die Galeone die Oberfläche – vor den Toren der Stadt der Bald-Toten. Nun, da die Galeone die sie umgebenden Gesteinsschichten durchpflügt hatte, existierten von ihr, die nichts als ein Hohlraum im Fels gewesen war, nur noch die Kissen, die im aschgrauen Gras lagen.
Annabelle rappelte sich auf und schnipste gebieterisch mit den Fingern. Im Nu war sie in ein samtschwarzes Kleid gehüllt und trug eine Krone im majestätisch aufgetürmten Haar: Es war so, als wäre ihr früheres Selbst in eine königliche Hülle geschlüpft. »Pferd!«, befahl sie.
Aus der Stadtmauer tauchte ein untoter Ingenieur mit einem Pferdeskelett in voller Kampfrüstung auf. »Durch die Metallplatten wird es zu langsam«, stellte Annabelle fest. »Mach sie ab!«
Der Ingenieur – auch er ein Skelett, groß, ungelenk, mit einem Monokel vor der einen Augenhöhle – hielt sich entsetzt die Fingerknochen an den Schädel. Die Pferderüstung war über und über mit kunstvoll radierten Szenen aus der untoten Kulturgeschichte bedeckt und in wochenlanger Kleinarbeit entstanden. Aber auf Annabelles Befehl begannen die unsichtbaren Diener, die metallenen Meisterwerke vom Pferd abzumontieren. Dessen Wiehern klang wie ein hohles Keuchen.
Annabelle sprang auf den Pferderücken.
»Mutter«, wandte sich Beatrice an sie, »könntest du mir auch ein Pferd kommen lassen, damit ich hinter dir herreiten kann?«
Annabelle nickte. Sie schnipste wieder mit den Fingern, und der Ingenieur rief noch ein gepanzertes Pferd herbei. Beatrice stieg auf und sah Ralph an. »Kommst du?«
Ralph schwang sich hinter ihr auf das Pferd.
»Annabel?«, fragte Beatrice.
Annabel biss sich auf die Lippen und schüttelte den Kopf, winkte aber munter zum Abschied.
»Die
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