Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)
schaffen würde, ein Bein hineinzubekommen … Doch dann bemerkte er, dass Beatrice nicht mehr bei ihm war.
»Beatrice«, rief er, »komm schon! Wir müssen uns verstecken!«
Aber sie antwortete nicht. Zögernd stand Ralph vor der Felsspalte. Schließlich streckte er beide Arme aus und tastete sich voran. Es dauerte nicht lange, da hatte er Beatrice gefunden, regungslos inmitten der Dunkelheit.
»Du brauchst nicht mitzukommen«, murmelte sie.
Ralph holte tief Luft und drückte ihre Hand. Er hatte Angst, klar, aber er wollte auch nicht allein sein.
Die Kerze kam immer näher.
Wie gebannt starrten die beiden ihr entgegen. Als die Kerze bei ihnen angelangt war, zwang sich Ralph, die Augen nicht zuzukneifen. Nach einer Weile entschwand die kleine Flamme allmählich wieder in die Richtung, aus der sie gekommen war. Ralph und Beatrice folgten ihr.
Zuerst schienen Cousin und Cousine einen großen, leeren Raum zu durchqueren. Wo das Kerzenlicht auch hinfiel, sahen sie Massen von Geistern. Aber dann wurden auch Wurzeln und moosbedeckte Felsvorsprünge sichtbar. Das Licht, dem unsere beiden Abenteurer folgten, verschmolz immer mehr mit den Lichtern anderer, in gleichmäßigen Abständen aufgereihter Kerzen. Schließlich spürten Ralph und Beatrice glatte Steine unter den Füßen. Sie stellten fest, dass sie eine Rampe hinaufschritten.
Die Kerze führte die beiden in einen keilförmig geschnittenen Saal, der durch mehrere Lüster hell erleuchtet war. Von seiner Form her war dieser Saal wie der Innenraum einer Galeone, aber die Wände waren aus Felsgestein. Wäre es ein Schiff gewesen, dann hätte ihm die Außenhülle gefehlt. Schiffsgleich aber schwankte der Saal, als würde er von Wellen geschaukelt. Die Steinwände waren von Dienern mit matt leuchtenden Kerzen gesäumt – offenbar Geister, deren Atem die Flammen zum Flackern brachte. Sehen konnte man sie nicht.
In der Mitte des Raums lagen auf einem Berg von Kissen zwei Frauen. Die eine war älter, konnte aber das Jungsein nicht lassen: feste Muskulatur unter runzeliger Haut, die Beine in vorteilhafter Pose drapiert. Die andere war das junge Wesen, das die Ältere als Erinnerung in sich trug: schöne, gleichmäßige Gesichtszüge und ein kühler Ausdruck mit einem Anflug von Schadenfreude. Beatrice senkte den Kopf. »Mum.«
»Komm her!«, sagte die ältere Frau.
Beatrice hob das Gesicht – Ralph sah ihren Unterkiefer zittern – und ging auf ihre Mutter zu. Als die Frau sie in den Arm nahm, stieß Beatrice einen Schluchzer aus, ohne die Umarmung zu erwidern.
»Oh, meine Beatrice«, sagte die Frau, »du bist zu mir gekommen!«
Die jüngere Frau erhob sich aus ihren Kissen, lächelte Ralph zu und hielt ihm ihre weiche Hand hin. »Ich bin Annabel«, stellte sie sich vor.
Ralph nahm die Hand und fragte sich, was nun zu tun wäre. In seinem Zimmer in New Jersey stand ein Ratgeber zum Thema Wie rede ich mit einem Mädchen? . Aber Ralph konnte sich bei bestem Willen nicht daran erinnern, ob dort eine Situation beschrieben stand wie die, in der er sich gerade befand. »Hallo, Annabel! Ich bin Ralph.«
Beatrice’ Mutter löste sich von ihrer Tochter und sah Ralph an. »Und wen hast du uns mitgebracht, Beatrice?«
»Das ist Ralph, Mum.«
»Hallo, Ralph. Ich bin Annabelle, Beatrice’ Mutter.«
»Zwei Annabelles!« Ralph ließ Annabels Hand los. »Freut mich sehr, Sie kennenzulernen«, fügte er schnell noch hinzu.
»Ja, zwei Annabelles«, sagte die ältere Annabelle und ließ sich wieder auf die Kissen sinken. »Nur die Schreibweise ist unterschiedlich. Ich gebe zu, es ist sehr verwirrend. Ich wollte, dass meine erste Tochter meinen Namen bekommt. Erstgeborene müssen alle verrückten Launen ihrer Eltern ertragen. Stimmt’s, Annabel?«
Annabel stolzierte wieder zu den Kissen, legte ihrer Mutter die Arme um den Hals und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dabei sah sie Ralph unentwegt an. »Das stimmt, Mum.«
»Hallo, Annabel«, begrüßte Beatrice ihre Schwester. »Es ist lange her, dass ich dich gesehen habe.«
»Oh, ja, ich weiß!« Annabels Stimme klang unbekümmert. »Ich war … wie alt? Sechs? Ich bin noch ziemlich gewachsen bis zu meinem Tod.«
»Ich habe so oft an euch gedacht. Ich wünschte, ich hätte euch besuchen können, aber Vater …«
»Ja, doch, ja, dein Dad wollte nicht, dass du uns besuchst. Tja, dass unsere Mum nicht mehr seine Frau ist, ist ja mein persönliches Pech!« Annabel brach in schallendes Gelächter aus, in das ihre Mutter
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