Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
Gefechtslage geht es in den Prozess am 8. August 2006.
Fast sieben Jahre später stellt sich Heinz Westenrieder die Frage nach seiner eigenen Verantwortung für das Verfahren und das fragwürdige Urteil. Gewiss, er ist öffentlich auf Distanz gegangen zu Prozess, Urteil und Otto Brixner. Aber trotzdem: Als Schöffe saß Heinz Westenrieder mit auf der Richterbank. Er wirkte am Urteil mit. Er verfolgte, dass sich Angeklagter und Pflichtverteidiger nicht verstanden. Er hörte Brixner brüllen und war beteiligt an der zweifelhaften Wertung aller Fakten und Gutachten. Vielleicht hat er auch das später schriftlich niedergelegte Urteil gelesen, mit all seinen Fehlern. Bereitet all das Heinz Westenrieder heute schlaflose Nächte?
»Die hätte ich vermutlich«, antwortet er, »wenn ich mich nicht inzwischen entschieden hätte zu sprechen und aktiv zu einer möglichen Rehabilitierung Mollaths beizutragen.« Dass er über einen öffentlichen Prozess auch als am Urteil beteiligter Laienrichter sprechen darf, daran hegt er keinen Zweifel. Otto Brixner hatte zunächst gedroht, Westenrieder deswegen anzuzeigen. Später beteuerte er, er habe das lediglich theoretisch in Erwägung gezogen. Er habe nie gesagt, dass er das auch tatsächlich tue.
Nachdem am 24. November 2012 der Artikel »Rechtschreiung« über die fragwürdige Prozessführung von Brixner im Verfahren gegen Mollath in der Süddeutschen Zeitung erschienen war, gingen aus der Nürnberger Justiz zahlreiche Reaktionen ein. Man hätte einen Proteststurm erwarten können, schon allein des Titels wegen. In Nürnberg schreit das Recht nicht, und in Nürnberg wird schon gleich gar kein Recht geschrien. In Nürnberg wird Recht gesprochen – diese Erwiderung hätte man doch erwarten können, sie wäre wohl durchaus normal gewesen. Denn in Nürnberg, auch das muss an dieser Stelle einmal klar betont werden, sind sehr viele Staatsanwälte, Richter und Anwälte am Werk, die ihren Job ernst nehmen. Die ihre Verfahren sorgfältig und gewissenhaft führen. Die Vorwürfe und Rechtfertigungen abwägen und Angeklagte respektvoll behandeln. Kurzum: die sich an Recht und Gesetz halten, Fairness und Gerechtigkeit walten lassen.
Aber es ging nach dem SZ -Bericht kein Protest ein. Nicht ein einziger.
Dafür meldeten sich mehrere Juristen mit ganz anderen Kommentaren zu Wort.
Er könne zu diesem Bericht »nur gratulieren«, äußert sich einer schriftlich. Das Problem sei aber vermutlich gar nicht der Fall Mollath gewesen, sondern ganz allgemein der Richter Brixner, gibt er zu bedenken. Auch er habe, in seiner Funktion als Anwalt, diesen Richter »kennenlernen dürfen«. Man könne »Bücher« über dessen Verhandlungsführung schreiben. Er, der Rechtsanwalt, kenne niemanden, »der bedauert, dass er, [Brixner], nun im Ruhestand ist«. Brixner, vermutet dieser Anwalt, »hatte sicher nichts gegen Mollath persönlich«. Sondern? »Mollath hatte nur eben Pech, dass Brixner sein Richter war.«
Das Schlimme aber sei, »dass es im Justizpalast geduldet ist, dass ein Mensch wie Otto Brixner über andere Menschen richten darf. Eine Persönlichkeit wie Otto Brixner wäre als Richter sicher besser beim Grundbuchamt eingesetzt worden. Dort hätte er sich nicht mit Menschen herumärgern müssen. Aber das ist jetzt zum Glück vorbei.« Er bitte, bekundet der Anwalt am Ende seiner Einlassung, um Anonymität.
Auch ein Gerichtsvollzieher meldet sich. Er könne dem Artikel »Rechtschreiung« nur zustimmen. Schon in seinen Anfangsjahren bei der Justiz habe er das »zweifelhafte Vergnügen« gehabt, in Strafsachen bei Brixner ab und zu Protokoll führen zu müssen. Schon damals sei Brixner für seine »unsägliche und menschenverachtende Prozessführung« bekannt gewesen. Es habe selten Verfahren gegeben, »die ohne Aggressionen abgingen«. Die im Artikel beschriebene Prozessführung, »der barsche, arrogante und provokative Ton dieses Richters« – genauso habe er ihn auch erlebt. »Gott sei Dank allerdings nicht als Angeklagter. Dafür aber fremdschämend als Protokollführer.«
Ein Präsident eines bayerischen Gerichtes äußert sich ebenfalls – wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand. Man könne mit solchen Richtern eigentlich nur in einem Dienstgespräch unter Kollegen in ein ganz grundsätzliches Gespräch über Verhandlungsführung eintreten, sagt dieser Mann. Disziplinarisch vorgehen aber könne man nur, wenn sich der Richter während der Verhandlung strafrechtlich relevante Sachverhalte
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