Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
der Begutachtung Mollaths beauftragt, nachdem sich der Erlanger Gutachter für befangen erklärt hatte. Von Leipziger aber ließ Mollath sich nicht untersuchen, so dass dieser vor allem die klinikinterne Dokumentation auswertete, die über Mollath in den fünf Wochen seines Zwangsaufenthalts angelegt worden war. Keine Untersuchung? Der Sachverständige habe alles »überzeugend« dargelegt, urteilt das Landgericht Nürnberg-Fürth, und macht sich Leipzigers Einschätzungen großflächig zu eigen.
Das Exzerpt des Leipziger-Gutachtens gehört zu den detailliertesten Passagen dieses Urteils. Ist das Zufall? Auf jeden Fall macht es weniger Arbeit, einen Text zusammenzufassen, als sich selbst in einen Fall einzuarbeiten. Oder Zeugen zu befragen. Oder gar die Hintergründe der behaupteten Schwarzgeldvorwürfe zu verifizieren. Im Urteil zitiert Richter Brixners Strafkammer einen entscheidenden Satz aus Leipzigers Gutachten. Vielmehr: Dieser hätte zum Verständnis des Falls eine entscheidende Rolle spielen können – wäre er denn nicht nur wiedergegeben, sondern tatsächlich zur Kenntnis genommen worden. Das Gericht schreibt: »Im August habe der Angeklagte in einem Brief seiner Frau mitgeteilt, dass er mit diesen ›Machenschaften‹ nicht fertig werde. Er sei jeder Kraft beraubt, seelisch und körperlich schwer belastet.«
Ein Schlüsselsatz. Mit ihm könnte man sehr viel in diesem Fall verstehen. Wer die Vita Mollaths nur ein bisschen kennt, sich nur ein bisschen umgehört oder den vorliegenden Briefverkehr gelesen hat, der weiß, dass die Beschreibung »jeder Kraft beraubt, seelisch und körperlich schwer belastet« wohl den Kern der Sache trifft. Und man könnte daraus den Rückschluss ziehen, dass da einer aufgrund privater und beruflicher Probleme und Verwerfungen unter einem Burn-out gelitten hat, oder gar unter den Symptomen einer Depression. Wohlgemerkt: in den Jahren 2002 bis 2005. Das Urteil wurde 2006 gesprochen. Und maßgeblich aufgrund dieses Urteils ist Mollath auch Anfang 2013 noch immer hinter weißen Wänden weggesperrt.
Zuletzt bleibt für das Gericht: Mollath leide »mit Sicherheit bereits seit Jahren unter einer paranoiden Wahnsymptomatik«. Mit Sicherheit?
»Mit Sicherheit« wird man etwas anderes sagen müssen: Dieses Urteil basiert auf einer Ansammlung von Nachlässigkeiten, Schludrigkeiten, Weglassungen, Auslassungen und zum Teil grotesken und höchst peinlichen Fehlern. Es schreibt ab, wo es selbst Für und Wider abwägen müsste. Es recherchiert nicht, es ergründet nicht, es behauptet stattdessen. Vor allem verlässt es sich blindlings auf die scheinbare Sicherheit eines Gutachters, der Mollath nie untersucht hat. Denn das Gericht übernimmt die entscheidenden Passagen aus dem Gutachten Leipzigers. Aus den Akten und Mollaths Darstellungen ergebe sich, »dass der Angeklagte in mehreren Bereichen ein paranoides Gedankensystem entwickelt habe. […] Hier sei einerseits der Bereich der ›Schwarzgeldverschiebung‹ zu nennen, in dem der Angeklagte unkorrigierbar der Überzeugung sei, dass eine ganze Reihe von Personen aus dem Geschäftsfeld seiner früheren Ehefrau, diese selbst und nunmehr auch beliebige weitere Personen, die sich gegen ihn stellen, […] in dieses komplexe System der Schwarzgeldverschiebung verwickelt wären.« Benannt wird als einzige dieser angeblich »beliebigen weiteren Personen« eine: der Erlanger Gutachter, an dem dieses Phänomen angeblich »eindrucksvoll« ausgeführt werden könne. Der sich aber selbst für befangen erklärt hatte. Eben weil er von einer mit ihm »freundschaftlich verbundenen« Person mit der Causa Mollath vertraut gemacht worden war. Dieser Freund war wiederum Vermögensberater und bekannt mit dem Kreis um Frau Mollath. Und er war von Gustl Mollath mindestens als Zeuge in dem Schwarzgeldkomplex immer wieder benannt worden.
Auf der letzten Seite der rechtlichen Würdigung scheinen dem Gericht noch einmal kurz Zweifel an der eigenen Arbeit zu kommen. »Mag sein, dass es Schwarzgeldverschiebungen von verschiedenen Banken in die Schweiz gegeben hat bzw. noch gibt, wahnhaft ist, dass der Angeklagte fast alle Personen, die mit ihm zu tun haben […], völlig undifferenziert mit diesem Skandal in Verbindung bringt.«
»Mag sein« – formuliert da allen Ernstes ein Richter im Jahr 2006 –, dass es Schwarzgeldverschiebungen gibt. Aber Mollath bringe eben »wahnhaft« nicht nur irgendwen, sondern »fast alle Personen, die mit ihm zu tun haben« damit in
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