Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
Strafanzeige vom 9. Dezember 2003 sagt Strate: »Die Glaubhaftigkeit der Darstellung wird maßgeblich durch ihre Detailliertheit und innere Schlüssigkeit bestimmt.« So verlangt es das Gesetz von einer Strafanzeige, so lauten die einschlägigen Rechtskommentare, so war es nach Strates Überzeugung auch bei der Mollath-Anzeige. So sieht das auch der Regensburger Strafrechtsprofessor Henning Ernst Müller. Auch der am Verfahren nicht beteiligte Jurist verweist darauf, dass Mollath präzise Angaben mit Namen, Beträgen und Schweizer Konten gemacht habe: »Viel konkreter hätte man es nicht darstellen können.« Der Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung und Beihilfe wäre begründet gewesen, ist Müller überzeugt. Die Staatsanwältin, die Ermittlungen ablehnte, könnte sich nach Auffassung des Regensburger Hochschullehrers sogar möglicherweise des Anfangsverdachts der Strafvereitelung im Amt schuldig gemacht haben. Diese Einschätzung wies der Nürnberger Generalstaatsanwalt Hasso Nerlich jedoch umgehend zurück: Es habe sich »kein Anfangsverdacht im Sinne der Strafprozessordnung« ergeben. »Die bloße Behauptung illegaler Geldgeschäfte genügt nicht.«
Vieles in der Juristerei ist sicher Bewertungssache, lässt den Beteiligten Interpretations- und Spielräume. Im Fall Mollath kann das wohl nicht als Erklärung für die haarsträubende Entwicklung dienen, welche aus einem Routinefall eine Affäre machte, die manche auch schlicht für einen Justizskandal halten. Zu klar waren Mollaths Angaben, die man, warum auch immer, aber offenbar nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Auch der Regensburger Strafrechtsprofessor Müller liegt mit seiner Bewertung nicht weit davon entfernt. »Die Strafsache Mollath ist eine bisher von mir nie gesehene Ansammlung von vorsätzlichen Gesetzesverletzungen, gravierenden Verfahrensfehlern, gepaart mit schweren Verteidigungsfehlern und Versagen der kontrollierenden Instanzen. Hinzu kommt eine – angesichts der (sachlich formulierten) Schreiben Mollaths – geradezu unmenschlich erscheinende Ignoranz der jeweiligen Adressaten.«
Hasso Nerlich dürfte diese Einschätzung mindestens als falsch, vermutlich sogar als ehrenrührig empfinden. Seit Anfang Oktober 2011 ist er Generalstaatsanwalt in Nürnberg, und er hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er die Vorgänge im Fall Mollath für absolut in Ordnung oder, besser: für rechtlich einwandfrei hält. Vor seiner Beförderung zum »General«, wie es umgangssprachlich heißt, war Nerlich Nürnberger Amtsgerichtsdirektor und in dieser Eigenschaft persönlich Adressat von Schreiben des Gustl Mollath, die wirkungslos im Justizapparat verpufften.
So am 23. September 2004. Er habe, schreibt Mollath in dem vierseitigen Brief an Nerlich, ihm etliche Anzeigen übermittelt, aber auch sechs Wochen danach noch kein Wort darüber gehört, wie weiter verfahren werde. »Ich bestehe weiterhin auf Gerechtigkeit, auch wenn es meinen Kopf kosten sollte.« Und dass ihn seine Frau »mit ihren Schwarzgeldverschieberfreunden perfide fertigmachen« wolle. Mollath will von Nerlich wissen, warum die Nürnberger Justiz ihn ins Leere laufen lässt und seine Anzeigen offenkundig ignoriert. Er fordert den Amtsgerichtsdirektor auf, »meine Fragen ordentlich, schriftlich« zu beantworten.
Er sei nicht zuständig gewesen und habe diesen und andere Briefe des Gustl Mollath damals an die richtige Stelle weitergeleitet, sagt Nerlich Jahre später auf unsere Anfrage hin. Nämlich an die Staatsanwaltschaft.
Nerlich ist seit 1977, von einem kurzen Intermezzo in der nahen Oberpfalz abgesehen, ununterbrochen in Diensten des Nürnberger Justizapparates. Man kennt sich gut unter den Juristen in der Halbmillionenstadt. Einmal im Jahr trifft man sich im beschaulichen, für den Hopfenanbau bekannten Städtchen Spalt inmitten einer idyllischen fränkischen Hügellandschaft zu einem gemeinsamen Fußballturnier mit anschließendem gemütlichem Beisammensein. Auch Anwälte sind darunter – und lokale Gerichtsreporter. Alle halt. Langjähriger Organisator der fröhlichen Kickerei samt anschließendem Fest: Hasso Nerlich.
Als Generalstaatsanwalt habe er weniger Stress, verrät Nerlich nach wenigen Wochen im Amt der Nürnberger Zeitung (NZ). »Es ist ein ruhigeres Arbeiten und man hat Zeit, die Dinge zu durchdenken.« Vor seiner Beförderung zum »General« war er Präsident des Nürnberger Amtsgerichtes, dessen Rhythmus vom »schnelllebigen Tagesgeschäft« bestimmt sei, wie er sagt.
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