Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
Ehefrau und schrieb einen folgenreichen Wisch.
Damit ist die Lunte gelegt. Das Fax steht am Beginn einer ganzen Kette von Expertisen, in denen Mollath, meist ohne vorherige Untersuchung, von nun an über Jahre hinweg immer wieder für gefährlich und wahnkrank erklärt wird. Im Nürnberger Amtsgericht schrillen angesichts dieser »ärztlichen Stellungnahme« der Erlanger Psychiaterin offenbar die Alarmglocken. Die darin enthaltenen Ferndiagnosen und Warnungen lassen beim Amtsgericht die Befürchtung aufkeimen, es hier nicht »nur« mit einem gewalttätigen Ehemann, sondern einem gefährlichen, unberechenbaren Angeklagten zu tun zu haben. Vermutlich deshalb beordert der Richter drei Justizwachtmeister an den Sitzungssaal, um Mollath vor der Verhandlung auf Waffen hin untersuchen zu lassen. Nachdem sie keine finden, beginnt am Mittag des 25. September 2003, einem Donnerstag, der Prozess. Und wieder wird sich etwas ereignen, an dem man das Versagen der Justiz in der Affäre Mollath später festmacht.
Gustl Mollath übergibt dem Amtsrichter einen Schnellhefter mit 106 Seiten Papier. Das Konvolut liest sich stellenweise bizarr, manches von dem, was Mollath Seite um Seite schreibt, hat mit seinem Fall nichts zu tun. Er mischt seine eigene Biographie mit Ereignissen aus der Weltgeschichte, aktuellen politischen Debatten, Briefen und Flugblättern zu seiner eigenen Sicht auf die Welt. Eine Art Küchenphilosophie, die sich anstrengend liest. Ein zum Teil skurriles Konvolut, auf den ersten Blick nicht dazu angetan, es eingehender zu studieren.
Aber: Richter ebenso wie Staatsanwälte können sich darauf nicht rausreden. Sie haben präzise zu prüfen, was ihnen da vorgelegt wird. Zumal es sich bei dem Konvolut um eine Verteidigungsschrift in eigener Sache handelt. Eine, die offenbar in Panik zusammengefügt war – weil Mollath unter dem Eindruck stand, es solle ihm etwas angehängt werden.
Und eine Verteidigungsschrift, die zweierlei dokumentieren soll: erstens, dass die Justiz es in Mollath mit einem der rührigsten Friedensaktivisten der Stadt Nürnberg zu tun hat, einem Menschen, der Gewalt aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnt. Und zweitens, dass Mollath vor dem Prozess in regem Briefverkehr mit der Hypovereinsbank, dem Arbeitgeber seiner Frau, und dieser selbst stand; daher die hinzugefügten Briefe, in denen es um die zwielichtigen Geschäfte auch hinter dem Rücken der Bank geht. Was Mollath als Indiz dafür gewertet wissen will, dass es hinreichenden Anlass für eine mögliche Falschbeschuldigung zu seinen Lasten gibt.
In der Praxis der Justizarbeit muss man eine solch zusammengeschusterte Verteidigungsschrift zweifelsohne als hilflos wirkendes Mittel werten. Nur: Ignorieren dürfen die Verantwortlichen bei Gericht dieses Mittel deshalb noch lange nicht.
Vor allem aber enthält Mollaths Schnellhefter auch neun Seiten, die das Interesse der Strafverfolger hätten wecken können, ja sogar müssen. Generalstaatsanwalt Hasso Nerlich wird die Unterlagen später gebetsmühlenartig als »für sich nicht aussagekräftig« abtun und damit zu begründen versuchen, weshalb die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen aufnahm, ja solche nicht einmal prüfte. So einfach allerdings lässt sich der Inhalt des Schnellhefters nicht als Blödsinn vom Tisch wischen.
Denn es sind auch Kopien von Überweisungsaufträgen darunter, die jedem einigermaßen mit den Gepflogenheiten von Schwarzgeldgeschäften vertrauten Staatsanwalt unweigerlich auffallen müssten: Von Hand dahingeworfene Zeilen, offenkundig eine Korrespondenz mit jenem Schweizer Banker, dessen Namen Mollath immer wieder in Zusammenhang mit den fragwürdigen Geldgeschäften seiner Frau und der anderen HVB-Banker anführt. »Bitte überweisen Sie von Konto ›Klavier 2285‹ DM 40000 auf Konto ›Selingstadt 2986‹« steht auf einem dieser dubiosen Überweisungsaufträge. Auf anderen, ähnlich formulierten Papieren ist von Konten namens »Pythagoras«, »DVD 6006« oder »Laim 1112« die Rede. Offenkundig sind es Tarnnamen für Schweizer Nummernkonten.
Wie lässt Generalstaatsanwalt Hasso Nerlich den Sprecher seiner Behörde im November 2012 erklären? »Geldtransfers von Deutschland in die Schweiz sind nicht automatisch strafbar.« So formuliert es auch mehrfach Bayerns Justizministerin Beate Merk. Und natürlich stimmt der Satz. Aber er offenbart eine oberflächliche Sicht der Dinge, suggeriert eine Naivität, die man weder bei einer Ministerin noch einem
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