Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
gestochen und ausgeraubt hat. Schlegel sieht jenem Phantombild ähnlich, mit dem nach dem Täter gesucht wurde. Der Taxifahrer glaubte, ihn wiederzuerkennen. Zwei Polizisten, die zufällig am Tatort waren, äußerten allerdings klare Zweifel. Trotzdem wird Schlegel verurteilt. Er sitzt unschuldig in Haft – bis sich der wahre Täter stellt.
Donald Stellwag wurde zu acht Jahren Haft verurteilt, weil er 1991 eine Nürnberger Sparkassenfiliale ausgeraubt haben soll. Mehrere Zeugen hatten den schwergewichtigen und schwerkranken Mann entlastet. Ein Gutachter glaubte jedoch, ihn anhand eines unscharfen Überwachungsfotos an seinem Ohr (!) zu erkennen. Dem Gericht reichte das. Stellwag saß die Haft ab; erst nach Verbüßung der acht Jahre wird der wahre Täter überführt. Der Gutachter darf übrigens trotz dieses folgenreichen Fehlers weiter als Sachverständiger vor Gericht auftauchen.
Einzelfälle?
Es sind bedenkliche Einzelfälle, und es ist fraglich, ob daraus immer die richtigen Lehren und Konsequenzen gezogen werden. Es wäre Aufgabe der Politik, solche Entwicklungen zu hinterfragen. Zumal die Urteile nicht die einzigen Vorgänge sind, deretwegen binnen weniger Jahre Teile des Nürnberger Justizapparates in Verruf gerieten.
Im Juli 2008 wird durch einen Bericht der SZ bekannt, dass ein Mitarbeiter der Asservatenkammer bei der Nürnberger Staatsanwaltschaft über Jahre hinweg Bargeld gestohlen hat, das bei Tatverdächtigen beschlagnahmt worden war und als Asservat hätte aufbewahrt werden sollen. Mehr als 6700 Euro steckte er in die eigene Tasche. Im Schreibtisch des Mannes wurde nebenbei eine Original-Akte gefunden, die justizintern seit zwei Jahren als verschollen galt. Ein alkoholkranker Justizbediensteter wurde in der Asservatenkammer beschäftigt, wo Drogen, Sprengstoff und Alkohol lagerten. Jahrelang war sein Treiben keinem Vorgesetzten aufgefallen, beziehungsweise war niemand eingeschritten. Sämtliche Kontrollmechanismen hatten versagt.
Ein Monat später sorgt der Fall einer Frau für Kopfschütteln. Sie war verurteilt worden und stotterte in diesem Zusammenhang 32000 Euro Gerichtskosten ab. Eines Tages erhielt sie von der Nürnberger Staatsanwaltschaft auf amtlichem Briefpapier und unter Angabe des korrekten Aktenzeichens ein Schreiben, in dem ihr die Restzahlung erlassen wurde. Der Fall sei nun erledigt. Die Frau freute sich. Vielleicht wäre nie mehr etwas aufgefallen, hätte sie nicht Jahre später darum gebeten, eine Sicherungshypothek im Grundbuch zu löschen, mit der die Justiz die Zahlung der Gerichtskosten abgesichert hatte.
Nun stellte sich heraus, dass der Justizmitarbeiter, welcher der Frau die Zahlung der noch offenen Gerichtskosten erlassen hatte, dies eigenmächtig getan hatte, wohl um sich kurz vor seinem Ruhestand Arbeit vom Hals zu schaffen. Obwohl die Schuld also eindeutig bei der Staatsanwaltschaft lag, setzte diese dennoch bei der Frau die Daumenschrauben an und forderte ultimativ die restliche Zahlung. Ihr Hinweis darauf, dass man sich doch auf amtliche Schreiben verlassen können müsse, nutzte nichts. Die Frau zog vor Gericht – und unterlag. Ihre Anwältin sagt, sie habe vom ersten Moment an gespürt, dass ihr das Gericht »keine Chance lässt«. Der Prozess sei »das Schlimmste gewesen, was ich in meiner Laufbahn als Anwältin erlebt habe«.
Im August 2008 wird bekannt, dass ein Gerichtsvollzieher aus dem Raum Nürnberg Geld, das er bei Schuldnern eingetrieben hatte, veruntreut hatte. Jahrelang war das niemandem in der Justiz aufgefallen.
Am 8. September 2008 notierte ein Nürnberger Staatsanwalt in einem als »intern« gekennzeichneten Vermerk haarklein, wie er monatelang innerhalb der Strafverfolgungsbehörde dem Verbleib von 20600 Euro nachgespürt habe, die vier Jahre zuvor bei einem Tatverdächtigen beschlagnahmt worden waren. Schon am 9. März 2007 hatte der Staatsanwalt angeordnet, das Geld beim Nürnberger Amtsgericht zu hinterlegen. Es dauerte jedoch anderthalb Jahre und bedurfte der Intervention eines Vorgesetzten, bis die Asservatenstelle der Staatsanwaltschaft das Geld tatsächlich herausrückte. Versehen? Schlamperei?
Gleichzeitig kommt ans Tageslicht, dass bei der Nürnberger Justiz zeitweise bis zu 6000 Verfahren zum Teil einfach monatelang liegenblieben. Sie wurden EDV-technisch nicht erfasst. Woraufhin man hauptsächlich Söhne und Töchter von Behördenmitarbeitern engagierte, um die Fälle im EDV-System zu registrieren.
Richtig peinlich war die
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