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Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)

Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)

Titel: Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Ritzer , Olaf Przybilla
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sich auch Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung und selbst ehemaliger Staatsanwalt, in einem Leitartikel mit dem umstrittenen Paragraphen 63 des Strafgesetzbuches. Überschrift: »Der dunkle Ort des Rechts«. Ein solcher sei nämlich jener Paragraph 63 seit langem, denn er bildet die rechtliche Basis dafür, um einen Straftäter schnell und auf unbestimmte Zeit in die Psychiatrie einzuweisen. Prantl: »Die Anzahl derer, die in die Psychiatrie geschickt werden, hat sich binnen zwanzig Jahren mehr als verdoppelt. Mehr als zehntausend sitzen heute in der Psychiatrie oder der Entziehungsanstalt; jeder Zehnte lebenslang. Was ist passiert? Die Sicherheitserwartung der Gesellschaft ist massiv gestiegen. Im Zweifel wird – von Richtern und Gutachtern, und oft ohne Federlesens – gegen den Angeklagten entschieden. Nach seriösen Schätzungen sind fast die Hälfte der Eingangsgutachten falsch, die hohe Gefährlichkeit prognostizieren.« Folgegutachten seien oft miserabel mit der Folge: Wer einmal in der Anstalt sitzt, kommt kaum noch raus. Prantls Leitartikel schließt mit dem Satz: »Eine Justiz, die Menschen ohne gründlichste Prüfung einen Wahn andichtet, ist selber wahnsinnig.«
    Daran etwas zu ändern wäre Aufgabe der Politik. Aufgabe von Leuten wie Beate Merk. Denn die Politik macht die Gesetze, und sie hat die Pflicht, Gesetze zu ändern, zu modifizieren, wenn in der Praxis offenkundige Fehlentwicklungen auftauchen. In der Affäre Mollath jedoch verwenden maßgebliche Rechtspolitiker wie Beate Merk und Franz Schindler ihre Energie ausschließlich darauf, die Unterbringung Gustl Mollaths auf Biegen und Brechen zu rechtfertigen. Sei sie noch so fragwürdig, seien noch so viele Ungereimtheiten und neue, bis dato unbekannte Fakten auf dem Tisch.
    Am selben Tag, an dem Prantls Leitartikel erscheint, gibt Horst Seehofer bekannt, dass der Fall Mollath neu untersucht wird. Von nun an ist klar: Beate Merk braucht einen Anlass, um ein Wiederaufnahmeverfahren anzustreben und damit ihr Gesicht nicht zu verlieren.
    Drei Tage später berichten die Nürnberger Nachrichten von einem Anruf eines Richters bei der Nürnberger Steuerfahndung 2004, also zwei Jahre vor dem verhängnisvoll-fragwürdigen Landgerichtsurteil gegen Gustl Mollath. Der Richter soll den Steuerfahndern ausgeredet haben, Mollaths Anzeigen gegen seine Frau, deren Kollegen und Kunden wegen angeblicher Schwarzgeldgeschäfte weiterzuverfolgen, weil dieser Mollath doch nicht klar bei Verstand sei. Das Blatt beruft sich dabei auf »Behördenkreise«, ein publiziertes Dokument gibt es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Für Beate Merk liefert der Bericht in diesem Moment aber die Steilvorlage, um ihren Hals zu retten und sich politisch Luft zu verschaffen. Mit dem Bericht über den angeblichen Anruf begründet sie noch am selben Tag ihre Entscheidung, den Nürnberger Generalstaatsanwalt Hasso Nerlich anzuweisen, eine Wiederaufnahme des Falles Mollath zu betreiben. Ein Vorwand.
    Der Anruf als solcher, der sich Monate später durch die SZ verifizieren lässt, ist ohne Zweifel ein Skandal. Er taugt aber nicht zur ernsthaften Begründung, weshalb in diesem Fall ein Wiederaufnahmeantrag geboten war. Selbst Mollaths Verteidiger Strate sieht das so. »Der Anruf war bestenfalls ein Beleg für die Befangenheit des Richters Brixner, aber niemals ein Wiederaufnahmegrund im Sinne der Strafprozessordnung.« Tatsächlich ist er vor allem eines: der letzte Anker für Beate Merk. Denn in diesen Tagen war der politische Druck auf die bayerische Justizministerin immens geworden, der öffentliche und vor allem jener Seehofers.
    Denn anders als die Justizministerin hat der Ministerpräsident und CSU-Chef die politische Brisanz der Affäre Mollath wenige Monate vor der Landtagswahl begriffen. Er muss nur in die Internetforen, die Leserbriefspalten und die Medien blicken, um zu erkennen, dass viele Bürgerinnen und Bürger empört sind über die Vorgänge – und das Verhalten der Ministerin. Am 1. Dezember 2012 sagt Seehofer in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse (PNP), was Beate Merk schon längst hätte sagen müssen. Sätze, mit denen keineswegs die Unabhängigkeit der Justiz in Frage gestellt wird, mit denen er aber demonstriert, dass das Hinterfragen auch rechtskräftiger gerichtlicher Entscheidungen und Verfahren in einem demokratischen Staat weder verboten noch ehrenrührig ist. Sondern schlichtweg notwendiger Bestandteil eines freiheitlichen

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