Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
Gemeinwesens. Und geboten in einem Fall wie dem von Gustl Mollath, wo es inzwischen viele neue Fakten und Zeugen gibt.
Gewaltenteilung, unabhängige Justiz – natürlich respektiere man das, sagt Seehofer in der PNP. »Wenn aber ernsthafte und begründete Zweifel aufkommen, ob ein Fall richtig bewertet wurde, und Informationen nicht in ein Verfahren eingebracht wurden – wie hier die bankinterne Untersuchung –, dann darf man das ansprechen. Hinzu kommt die Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs – sieben Jahre. Da muss man besonders genau hinschauen.«
Es gehe darum, so Seehofer weiter, »unter Berücksichtigung der neuen Gegebenheiten den Fall noch einmal zu überprüfen«. Immerhin gehe es um einen langen Freiheitsentzug und »ernsthafte Zweifel«, die laut geworden seien. »Es gehört zu einem starken Rechtsstaat«, sagt Seehofer, »dass er auch sich selbst überprüft. Das ist ja auch im Interesse der Glaubwürdigkeit der Justiz.« Der Frage, ob Merk hätte früher handeln müssen, weicht Seehofer in dem Interview elegant aus.
Während man in der CSU in diesen Tagen Seehofers Machtwort und Merks Einknicken erleichtert zur Kenntnis nimmt, mag ein anderer diese Sicht der Dinge überhaupt nicht teilen: Franz Schindler, Merks sozialdemokratischer Vasall. Als die Ministerin die Staatsanwaltschaft anweist, eine Wiederaufnahme des Mollath-Prozesses zu betreiben, findet Schindler das skandalwürdig. Er tut, was sich nicht einmal Beate Merk traut. Er geißelt Seehofers längst überfällige Forderung nach Klarheit als »einen schweren Eingriff« in die Unabhängigkeit der Justiz, der »keineswegs stilbildend sein« dürfe. Die Politik habe sich »weder in Form des Landtags noch der Justizministerin und schon gar nicht in Form des Ministerpräsidenten hier einzumischen«. Wohl dem Minister, der es mit einem solchen Oppositionellen zu tun hat. Die größte bayerische Oppositionspartei versagt glatt im Fall Mollath.
Dabei läuft in der bayerischen Justiz offenkundig schon länger einiges schief. Es gab früher schon Probleme, die es nicht nur wert wären, von der Politik (und gerade einer Opposition) hinterfragt und angegangen zu werden, sondern die sogar in ihren ureigensten Aufgabenbereich fallen würden.
Exkurs:
Christine Stahl wundert sich. Während der Beratungen für den bayerischen Doppel-Staatshaushalt 2009/2010 stolpert die Abgeordnete der Grünen und Landtagsvizepräsidentin aus Nürnberg über einen seltsamen Etatposten: jährlich 5,3 Millionen Euro für Haftentschädigungen. Die Summe kommt ihr reichlich groß vor. Warum muss der Freistaat von Haus aus so viel Geld einplanen, um Menschen zu entschädigen, die unschuldig ins Gefängnis kommen, fragt sich Stahl. Sie will es genau wissen. Zusammen mit ihrem Kollegen Thomas Mütze richtet sie eine Anfrage an das Justizministerium. Die Ergebnisse sind nicht nur aus Sicht der Grünen alarmierend.
Praktischerweise ist es so, dass in Deutschland seit 1998 keine amtliche Statistik mehr geführt wird, wie viele Entschädigungsleistungen der Staat an unschuldig Eingesperrte bezahlen musste. Dementsprechend wird dies auch in Bayern nicht mehr erfasst. Auf den parlamentarischen Vorstoß von Stahl und Mütze hin durchforsten Beamte im Justizministerium jedoch die Haushaltsüberwachungslisten der bayerischen Generalstaatsanwaltschaften. Und stoßen dabei auf besorgniserregende Zahlen:
2007 saßen 122, 2008 sogar 130 Männer und Frauen unschuldig in Gefängnissen des Freistaates. Allein im Oberlandesgerichtsbezirk Nürnberg saßen 34 bzw. 49 Unschuldige im Knast. Rechnet man die unschuldig verbüßten Hafttage zusammen, waren es allein im Jahr 2008 insgesamt 14504 – rund 40 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Für den Anstieg hatte das Ministerium keine rechte Begründung. Dafür wusste ein Sprecher umso genauer, dass es sich »um extreme Ausnahmefälle« handele. Stahl hatte da eine ganz andere Interpretation: »In Bayern sperrt man besonders schnell weg.«
Zwei besonders krasse Fehlurteile trieben die deutsche Öffentlichkeit noch lange vor dem Fall Mollath ganz besonders um. Am 14. April 2009 saßen die beiden Nürnberger Justizopfer zusammen in der ZDF-Talkshow von Johannes B. Kerner: Jens Schlegel und Donald Stellwag. Schlegel wurde Ende der 1990er Jahre von einer Jugendkammer wegen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er einen Taxifahrer überfallen, ins Bein
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