Die Affen von Cannstatt (German Edition)

mir ihre Facebook-Chronik an. Sie versteckt ihr wahres Gesicht hinter einer Zeichnung. Der zufolge muss sie eine wüste Narbe im Gesicht haben. Außerdem hat sie Fotos von Eiszapfen reingestellt, die vor einem Schild hängen, auf dem »eis café kötzle« steht, eine grammatisch und semantisch haarsträubende Zusammenstellung, bei der wir von Peofis dringenden Beratungsbedarf konstatieren würden. Ihr Name schafft die Marke, nicht das Angebot. Wobei Kötzle ein schwieriger Name ist für ein Eiscafé. Aber den will er bestimmt nicht ändern. Es ist immer das gleiche Gefecht, das unsere Berater führen.
    Lisas Titelbild zeigt einen Schießstand in einem Schützenverein mit Schießscheibe, wo die meisten Treffer ins Schwarze gegangen sind. Weg damit.
    Aber Heidrun hat mir endlich eine Nachricht geschickt, die ich öffne. »Mach dir keine Sorgen, Camilla. Mir geht es gut. Sorgen machen mir die Bonobos. Zwei der Mädchen wirken traumatisiert. Wir können uns gar nicht erklären, wie der Mann reinkommen konnte. Und wie es weitergeht, weiß momentan keiner. Hoffentlich reißt man die Gruppe nicht auseinander.«
    Ich nicke vor mich hin. Sobald Tiere in Gefangenschaft erkennen, wie leicht es ist, einen Menschen zu töten, verlieren sie den Respekt vor den Pflegern. Das kann lebensgefährlich werden. Die meisten Tiere sind besser bewaffnet als wir. Einen Tiger würde man wahrscheinlich töten. Bei einer Gruppe, die getötet hat, muss man wenigstens die kollektive Erfahrung zerstören, die Tiere vereinzeln.
    Das Teewasser fängt an zu summen. Es ist mir willkommen, dass ich aufstehen kann. Ich schalte den Kocher aus, gieße etwas Wasser in die leere Teekanne, um sie vorzuwärmen.
    Während das Wasser im Kocher abkühlt, lasse ich die dunkelgrünen Blätter des Gyokuro Kimi-ga-yo aus Bioanbau am Vulkan Sakurajima ins Teesieb aus Porzellan rieseln. Der edle Tautropfen des Herrschers der Welt ist einer der teuersten japanischen Tees. Er muss im Schatten stehen. Dann werden seine Blätter tief dunkelgrün und bleiben weich. Knospe und erstes Blatt werden nach der Ernte kurz gedämpft und danach gerollt. Das macht den Tee mild. Der Gyokuro muss bei fünfzig Grad ziehen, das aber vergleichsweise lang. Dann entfaltet er sein starkes, blumig weiches Aroma. Ich vergewissere mich mit dem Thermometer, bevor ich das Wasser übers Teesieb in die Kanne gieße. Es färbt sich langsam gelbgrün. Ich stelle den Küchenwecker auf vier Minuten.
    ach dem ersten temperierten Schluck antworte ich Heidrun: »Aber die Affen haben sich doch nur verteidigt. Wir müssen uns treffen. Eine Strategie entwickeln. Wie sieht es mit deinen Diensten aus?«
    Heidrun ist nicht online. Auf eine Antwort muss ich warten.
Haftbuch, Sonntag, 21. April
    Wo stünde ich heute, wenn ich in meiner Bonobostudie die Szene mit Mara, die Mokili zu ertränken versucht, weggelassen hätte? Wenn ich einen wissenschaftlichen Titel hätte, könnte die Kuratorin für Menschenaffen der Zoodirektion empfehlen, mich im Todesfall Till zur Gutachterin zu bestellen. Als Bonobosoziologin.
    Die Überlegungen sind obsolet. Ich sitze in U-Haft. Ich kann niemandem mehr helfen. Wäre ich vor fünf Jahren die gewesen, die ich heute bin, hätte ich mein Studium wahrscheinlich nicht abgebrochen. Ja sicher, ich wäre auf allen Stationen meines Wegs zur Promotion, Dozentenstelle, Habilitation und Professur immer wieder auf Schmaleisens und Tills gestoßen, auf Typen, die festlegen, wie ich mich zu verhalten habe, damit ich gefalle und weiterkomme, und auf diejenigen, die sie stürzen wollen, um selbst eine Horde anzuführen. Und um sie herum immer ein paar weibliche Satelliten, darunter ich. Vor Dr. Seitz hat Till sich jedenfalls nicht gefürchtet. Er spielt mit dem GF gemeinsam Golf. Sie nicht.
    Oft habe ich mich in der kurzen Zeit bei Peofis nach meinem Platz vor dem Bonobogehege zurückgesehnt, nach der Ruhe, die dort herrscht. Ab und zu balgen sich die Kleinen. Alle machen Sex. Mehr passiert nicht. Mara hat sich mit Mokili abgefunden, seitdem Zete ihr immer öfter die Kleine überlässt. So hat sie Verantwortung bekommen.
Fortsetzung Verteidigung Camilla Feh
    Am Dienstag kriegen wir per Rundmail vom GF mitgeteilt, dass Frau Dr. Seitz zunächst kommissarisch die Abteilung KoPla, Konzeption und Planung, leiten wird, zu der auch wir gehören, oft nur das Schreibbüro genannt. Beide Stellen, die des Executive Directors und die der Mitarbeiterentwicklung, würden zeitnah ausgeschrieben. Man wolle die