Die Affen von Cannstatt (German Edition)
vor mir in Anzug und Krawatte eines jungen Direktors, der festlegen will, wie ich mich ihm gegenüber künftig verhalten soll.
Ich sage: »Na, du Konvertit.«
Er tut so, als verstünde er mich nicht.
»Vom Anarchisten zum Konformisten«, erkläre ich.
»Irgendwann muss man erwachsen werden«, antwortet er. »Revolte, Revolution, Basisdemokratie, alles schön und gut. Aber schon diejenigen, die einst mit politischem Habitus in die Betriebe gingen, um das Proletariat zum Klassenkampf wachzurütteln, mussten feststellen, dass das Bewusstsein des Arbeiters nur reformistisch ist und er sein Leben am Luxus des Bankers misst.«
»Ah«, sage ich. »Deshalb hast du die Revolution aufgegeben.«
»Anders wird ein Schuh draus«, antwortet er. »Ich habe dazugelernt.« Reden halten kann er wie früher. »Interessanterweise ist die Demokratie die einzige politische Gesellschaftsordnung, die gelernt werden muss. Revolution und Diktatur kann jeder. Gehorchen auch. Anarchie ist der Luxus der Jugend und ihrer Verantwortungslosigkeit. Ihr reden jene das Wort, die nichts haben. Ja, es war notwendig, das bildungsbürgerliche Establishment anzugreifen. Die Gesellschaft darf von der Jugend erwarten und verlangen, dass sie Revolution schreit und Traditionen infrage stellt. Aber die Jugend endet irgendwann. Auf das Scheitern der Revolution folgt die Bewährung in der Demokratie.«
Till ist noch keine dreißig.
»Dann sind Hierarchien also für dich jetzt nicht mehr antidemokratisch?«
Der Direktor blinzelt und lehnt sich zurück. »Keine Firma funktioniert ohne Hierarchie und Disziplin. Übrigens auch die Gesellschaft nicht, solange unser Bildungsstand so unterschiedlich ist. Basisdemokratie ist eine Illusion, ja es gibt sie nicht, kann sie nicht geben, denn es sind doch immer nur einige wenige, welche die Ziele formulieren, über die die Masse abstimmt.«
»Und die Masse ist ja, wie wir von Le Bon wissen, instinktiv ein Feind jeglicher Veränderungen und des Fortschritts«, bemerke ich.
Er stutzt, redet ärgerlich darüber hinweg: »Man wird sich immer an Leitfiguren halten. Dazu ist der Mensch zu sehr Tier. Aber das muss ich dir ja nicht erklären, Camilla. Tierische Gesellschaften kennen nur Hierarchien oder Einzelgängertum.« Er lacht. »Das friedliche Matriarchat deiner Bonobos ist ja auch nichts anderes als Zickenkrieg mit Männerunterdrückung.«
Ich lache auch. »Ja, das war ein Schock für euch Jungs. Ich habe euch das Paradies kaputtgemacht.«
Tills Gesicht verfinstert sich. »Ach was, Paradies!«, schnaubt er. »Du hast da immer viel zu viel reingelegt. Du warst schon immer eine Träumerin. Affen sind auch nicht besser als Menschen.«
Sein Ton wird mir zu aggressiv. Ich ziehe mich auf konventionelle Floskeln zurück und frage ihn, ob er inzwischen Familie hat.
»Geschieden«, antwortet er knapp.
Er hat es eilig gehabt. Neue Freundin, Heirat, ein Kind, Scheidung. Seine Tochter ist noch kein Jahr alt und lebt mit ihrer Mutter und deren neuem Mann in Australien. Für den Bruchteil einer Sekunde sehe ich Tills Gesicht böse, gekränkt und hasserfüllt. Dann lächelt er schon wieder und sagt: »Familie ist nicht so mein Ding. Ich bin der lonesome wolf, war ich schon immer. Und hier läuft alles bestens für mich. Nach drei Jahren schon Executive Director und demnächst stellvertretender Geschäftsführer.«
»Und die Seitz?«, frage ich. »Will die nicht auch?«
»Wird es aber nicht. Der GF will keine hysterische Zicke.« Er lacht.
»Tja«, grinse ich, »da will man immer, dass Frauen endlich mal in wichtige Positionen rücken, und wenn es dann so ist, ist es auch wieder nicht recht.«
»Frauen in den richtigen Positionen gern und möglichst viele. Solange ich Scheffe bin.« Grins. »Und keine egomanischen Furien …«
»So spricht der einstige Feminist«, sage ich.
»Was kann ich dafür, dass ihr Frauen einfach die falschen Entscheidungen trefft? Das weißt du doch selbst: Ihr studiert schon mal das Falsche. Ihr bewerbt euch nicht auf den Posten der Leiterin einer Filiale, weil ihr Sorge habt, Mann und Kinder könnten meutern. Und weil ihr nicht solche hässlichen Karrierebiester werden wollt wie die Seitz. Ihr wollt geliebt werden. Gib’s zu. Und ihr wollt erfolgreiche Männer mit Macht lieben. Nein, Camilla, ihr werdet aus der Falle nie herauskommen. Ihr kämpft nicht, weil eine Niederlage euch in Selbstzweifel stürzt.«
Die Freundschaftsanfrage von Lisa Nerz wartet noch immer auf Bestätigung. Ich schaue
Weitere Kostenlose Bücher