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Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Titel: Die Affen von Cannstatt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Tierschützer. »Allerdings fällt mir jetzt ein, voriges Jahr im Hochsommer, da stand mal das Fenster vom Aufenthaltsraum sperrangelweit offen. Wir haben angenommen, dass der Spätdienst vergessen hat, es zuzumachen. Es war nichts verschwunden.«
    Kann es sein, dass Till hier eingestiegen ist, um sich einen Abdruck vom Lehrlingsschlüssel zu machen? Ist das denkbar? Aber wozu hätte er das tun sollen? Seine Zeit als Veganer und Tierrechtler war doch längst vorbei.
    »Könnten wir uns die Räumlichkeiten nicht doch schnell mal anschauen?« Nerz’ Frage klingt wie ein Befehl.
    Heidrun spielt mit dem Schlüssel.
    »Also gut«, sagt die Hyäne, »wenn Sie das nicht entscheiden können, dann müssen wir wohl doch die Kuratorin holen. Was meinst du, Richard?«
    Heidrun gibt sich einen Ruck. »Kommen Sie. So viele Leute, wie hier seit dem Wochenende durchgetrampelt sind …«
    Sie ist eine robuste Frau Mitte vierzig, die im Zoo nie mehr hat werden wollen als Affenpflegerin. Sie braucht ihren täglichen Kontakt zu den Tieren, will um sechs Uhr aufschließen, Futter verteilen, die Affen ins Schaugehege umschließen, die Nachtgehege saubermachen und sich Beschäftigungen ausdenken. Um sieben kommen die Kollegen. Mittags gibt es wieder was zu fressen, um zwei den Saft, danach werden Körner verstreut, damit die Affen zu tun haben mit dem Aufsammeln. Um sechzehn Uhr ist dann Schluss für den Frühdienst. Der Spätdienst übernimmt, schließt die Affen in die Nachtgehege um und macht bis 19 Uhr die Schaugehege sauber. Dann gehen alle heim.
    Drei Säuglinge hat Heidrun auf den Weg gebracht, zwei Gorillakinder und ein Bonobobaby aus einem anderen Zoo. Das waren Vierundzwanzigstundenjobs, die nur gehen, wenn der Mann mitmacht. Denn entweder sie übernachtet im Zoo, oder er erträgt es, dass immer ein Affenbaby den Kopf zwischen ihn und seine Frau steckt.
    Die Tür zum Wirtschaftsbereich hat Knauf und Sicherheitsschloss. Heidrun lässt uns in den Vorflur eintreten. Ich kenne ihn. Er wirkt wie Heizungskeller, Geräteschuppen und Gefängnis zugleich. Waschbecken, Eimer mit Schrubber und Abzieher zum Reinigen der Scheiben, Besen, Leitern, eine Kiste mit gerollten Feuerwehrschläuchen, im Regal Dinge zur Tierbeschäftigung, Plakatrollen, Schläuche, Tüten, Säcke. Die Gittertür zum eigentlichen Bereich der Affen hat keine Klinke. Hier kommt der Vierkantschlüssel zum Einsatz.
    »Uff«, macht Nerz und schnüffelt. Ja, es riecht streng, obwohl die rückwärtigen Käfige schon frisch eingestreut sind.
    Heidrun wendet sich nach links in den gefliesten Gang mit Abwassergullys. Hier trennt uns kein Glas, sondern nur Gitter von den Tieren. Plötzlich sind sie da, klammern sich in die Gitter, gucken uns an. Aufgeregte schwarze Kobolde mit großen Augen, rosigen Lippen und verlangenden langen Fingern. Heidrun redet mit ihnen. Den beiden strengen Gästen schmelzen die Herzen. Heri himmelt Weber an, und der streicht wie hypnotisiert über dessen ledrige Finger. Heri versucht, den Stoff seines Mantels zu berühren. Lisa Nerz ist da skeptischer, hat die Hände in die Taschen geschoben, ist aber wie bestrickt von den neugierigen Blicken.
    Ja, wenn ernste Kinder zutraulich werden …
    »Und wo …« Nerz hustet sich die Rührung weg. »Wo … lag er?«
    Wir gehen um noch eine Ecke. »Hier schlafen unsere vier Männer immer zu zweit. Und hier die neun Frauen. Da lag er.« Heidrun schluckt. »Ich habe es zuerst überhaupt nicht gecheckt. Zete ist mir ja schon im Gang entgegengekommen.«
    Das höre ich zum ersten Mal. In der Zeitung hat es nicht gestanden. Sie waren also frei hier drinnen, zumindest Zete. Und Till lag im Frauengehege. Eingeschlossen. Ich versuche hastig zu verstehen, was passiert ist.
    Nerz hat es noch nicht begriffen. Sie fasst nach dem Hängeschloss, das den Riegel geschlossen hält, und schätzt ab, ob man von innen durchs Gitter hinlangen könnte mit menschlichen Händen. Es geht nicht.
    Heidrun erzählt weiter. Zete und Oicha befanden sich im Gang, als sie morgens hereinkam. Die anderen saßen im Gehege. Der obere Riegel war zugeschoben, das Schloss zugedrückt. Zete und Oicha konnten nicht mehr rein, die anderen nicht heraus. Heidrun ist das Naheliegende durch den Kopf geschossen: Schlamperei beim Spätdienst? Eigentlich unmöglich. So etwas darf nicht passieren. Sie geht hinter. Die Affen kommen ans Gitter, es ist düster, morgens um sechs bei elektrischem Licht. Deshalb hat sie den Toten nicht sofort gesehen. Doch da kommt

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