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Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Titel: Die Affen von Cannstatt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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noch erleben darf! Atmet sie also doch noch, die gute alte Tante Feminismus. Und ich dachte schon, deine Generation hätte sie längst begraben und vergessen, weil ihr glaubt, ihr wärt gleichberechtigt, während ihr euch abmüht, eure Frauenrolle möglichst gut zu spielen.«
    »Ich wollte damit bloß sagen«, antworte ich, »dass wir die Sozialstrukturen von Tiergesellschaften nur höchst unvollkommen verstehen. Warum haben bei den Bonobos die Frauen die Macht? Die Biologen messen den Aggressionsstoff, das Testosteron im Urin. Die Bonobomänner haben einen niedrigeren Testosteronspiegel als die Schimpansen. Ist das der Grund, warum sie weniger herrschsüchtig sind? Oder haben sie weniger Testosteron im Blut, weil sie es im Matriarchat nicht brauchen? Und brauchen sie es deshalb nicht, weil sie auch so genug Gelegenheit zum Sex bekommen und darum keine Gewalt anwenden müssen? Wenn ich eines gelernt habe, dann, dass alles Interpretation ist. Stets messen wir, was wir sehen, an unseren eigenen sozialen Erfahrungen. Wir sehen Männerbünde, Rangkämpfe und Hierarchien, weil wir selbst in einer hierarchischen Gesellschaft leben wollen und uns Macht als Ordnungselement wünschen. Wir denken, ein Wolfsrudel wird von einem Leitwolf geführt und hat eine strenge Rangordnung. Das ist aber nur in Gefangenschaft so. In Freiheit leben Wölfe in Familienverbänden und die Rangordnung spielt eine geringe Rolle. Auch die Bonobos organisieren sich im Urwald mit Sicherheit anders als hier im Käfig.«
    Der Blick aller geht treppab und hinüber in den anderen Raum zu den Glasscheiben. Bonobos haben lange Glieder und ernste lange Gesichter. Sie sind nicht niedlich. Die Zoobesucher mögen sie nicht.
    »Die Männer«, sage ich, »müssen nichts tun als Nachwuchs zeugen. Sie haben keinerlei soziale Pflichten. Dafür haben sie allerdings in der Gruppe auch keine Vorrechte.«
    Lisa Nerz grinst. Ich sehe ihr an, was sie denkt. Ersteres trifft auf menschliche Männer zu – wenigstens auf die Machovariante –, das zweite nicht. Niemand schafft es, das Matriarchat der Bonobos nicht entweder grinsend oder unangenehm berührt auf unser Sozialgefüge zu beziehen.
    »Übrigens, Herr Dr. Weber«, sagt Heidrun, »unterliegen unsere Bonobos einem europäischen Zuchtprogramm. Es ist uns ganz wichtig, die genetische Vielfalt zu erhalten, damit möglichst starke Individuen geboren werden.«
    Weber nickt.
    »Und wozu?«, fragt Nerz.
    »Bonobos sind in ihrer Heimat vom Aussterben bedroht. Es gibt noch schätzungsweise fünftausend Exemplare.«
    »Und? Ändert das europäische Zuchtprogramm irgendetwas daran?«
    »Nein, natürlich nicht. Aber so überlebt die Art immerhin in Zoos und Forschungseinrichtungen.«
    »Und Sie sind sicher, dass Sie den Bonobos damit einen Gefallen tun?«
    »Darum geht es doch gar nicht. Es geht um die Arterhaltung und die Bewahrung der biologischen Vielfalt.«
    »Ah!« Nerz bläst sich auf. Ihre Stimme schwirrt durch den Raum wie ein von der Pumpe gerutschter Luftballon. »Dann geht es also nur um unser gutes Gewissen. So viele Arten sind vor uns schon verschwunden, aber vor unseren Augen darf keine aussterben. Wir wollen die Welt auf dem Istzustand einfrieren.«
    »Der Mensch ist doch schuld, dass so viele Arten aussterben«, widerspricht Heidrun, geradlinig wie immer. »Auch im Fall der Bonobos. Wir sind es, die ihre Lebensräume zerstören.«
    »Dann lasst uns die Lebensräume für die Bonobos retten. Wo leben die gleich noch mal?«
    »Im Kongo«, sekundiert der Staatsanwalt treuherzig.
    »Sehr schön. Da könnte man gleich die arme Bevölkerung mit retten, die den Affen den Lebensraum abholzt. Stecken wir unsere Energie und unser Geld doch lieber in die Bekämpfung von Hunger, Armut und Krieg statt in europäische Zuchtprogramme.«
    »Wenn das Richtige nur auch immer so einfach zu machen wäre«, seufzt der Staatsanwalt. »Und uns hilft es jetzt auch gar nicht weiter, Lisa.«
    Offenbar hört sie auf ihn. »Also gut«, sagt sie. »Fassen wir zusammen. Der Äffin Mara hätten wir einen Mord zugetraut. Aber sie war zum Tatzeitpunkt nicht mehr in der Gruppe. Sie hat ein einwandfreies Alibi. Camilla, jetzt bist du dran. Wer hat bei denen noch das Zeug zu einem Mörder oder vielmehr zu einer Mörderin?«
    Das ist keine, die so schnell Ruhe gibt, stelle ich fest. »In der Zeit, wo ich die Gruppe beobachtet habe, ist Mara manchmal zusammen mit Oicha auf Njema losgegangen. Njema ist der Sohn einer Äffin, die inzwischen gestorben

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