Die Affen von Cannstatt (German Edition)
mich. Es ist einer jener seltenen Momente, wo plötzlich Licht ins Gehirn fällt und ich mich lebendig fühle. Das wird mein Plan sein für die Zeit nach dem Prozess.
Nach fünfzehn Jahren könnte ich Antrag auf vorzeitige Freilassung auf Bewährung stellen. Auch andere landen erst mit über vierzig in ihrem eigentlichen Beruf. Nein. Totaler Blödsinn, ein Gefängnistraum. Als verurteilte Mörderin würde ich nie eine Zulassung als Anwältin kriegen. Der Gedanke schleudert mich ins Bodenlose.
Fortsetzung Verteidigung Camilla Feh
Zwischen dem Terrakottafries der Wilhelma und dem Neckar schiebt sich der Schwerlast- und Pkw-Verkehr aus dem Remstal und von Esslingen um die Wilhelma herum. In den letzten Tagen ist so viel Schnee gefallen, dass man einen Teil der Fahrspuren aufgeben musste. Überall türmen sich Schneewälle. An den Ampelanlagen sind für Fußgänger Durchbrüche geschaffen worden.
Ich bin zu früh. Kassen und Kartenautomaten sind für den sommerlichen Familienansturm ausgelegt. Im Winter gehen bloß alte Frauen, Hobbyfotografen und Mütter mit Kinderwagen in den Zoo. An diesem Donnerstag ist niemand zu sehen. Nur eine Kasse ist besetzt. Ich löse meine Karte zum Wintertarif am Automaten und gehe durchs Stativdrehkreuz.
Da stehen sie wie immer, die Flamingos: krebsrote Leiber mit Schlangenhälsen umgeben von schwarzem Wasser und weißer Wiese.
Vermutlich wäre mir an einem normalen Tag das Herrenpärchen gar nicht aufgefallen, das auf dem Weg zum Wilhelmashop steht wie bestellt und nicht abgeholt. Der eine ist ein etwas gedrungener, aber schlanker und eleganter Herr Mitte fünfzig in braunem Kaschmir mit Schal, Manschettenknöpfen und Stiefeletten, die es nicht auf der Königsstraße zu kaufen gibt. Der andere ist ein Prolet, ungekämmt mit den Resten einer Wasserstoff-Punkfärbung, in abgeschabter Bikerjacke, zerratzten Jeans und abgestoßenen, schiefgelaufenen Stiefeln mit Nieten und Schnallen. Er wendet mir den Rücken zu, tänzelt vor dem Schönen herum und gestikuliert. Was für ein Paar! Ich kann mir keinen Grund denken, der diese beiden Gestalten zusammengeführt hat, außer einem höchst privaten. Liebe macht Affen. Der Schöne ist im Begriff, Kopf und Kragen, Familie und Karriere zu riskieren für das, was er für Leben hält. Und der Jüngere ist ein Stricher, der ihn ausnehmen wird. Sie haben sich übers Internet kennengelernt und für ihr erstes Treffen einen öffentlichen Ort ausgesucht, wo an einem Nachmittag wie heute so gut wie kein Publikum zu erwarten ist.
Ich wende mich ab und folge dem Impuls, wie einst mit Lukas und Oma durchs Gewächshaus in den Zoo vorzustoßen. Es ist warm bei den Kakteen. Die dicken Schwiegermutterkissen haben Dutzende von Blütenknospen. Das langgestreckte Glashaus erweitert sich in der Mitte zum Wintergarten mit Palmen, Bananen, Moosfarnrasen und dem Koi-Teich, in dem immer ein paar Münzen schimmern, obwohl eine Spendenbüchse daneben steht. Ich mache sogar den Abstecher meiner Kindheit zu den Chinchillas und den winzigen Tropenvögeln, schlendere durch Azaleen und Kamelien in unendlichen Violettvariationen und trete am Ende in den kalten Winter.
Zu Zeiten meiner Bonobostudie bin ich genau hier vom Betriebshof hereingekommen. Das Tor steht auch heute offen.
Ich spaziere den überdachten Wandelgang entlang. Der Seerosenteich ist leergepumpt und kaum zu erkennen. Selbst unters Dach des Gangs hat es den Schnee geweht. Obwohl ich Zeit hätte, biege ich nicht ins Aquarium ab, sondern gehe am Seelöwenbecken vorbei, das mir wieder einmal klein vorkommt im Vergleich zu meinen Kindheitserinnerungen an das Spektakel der Fütterung. Der Zoo liegt im Winterschlaf. Ein paar Enten schnattern, der Rest der Tiere ist woanders. Und dennoch ist alles ewig und sich gleich. Auch wenn gebaut wird: das neue Affenhaus zum Beispiel.
Das alte stammt noch aus der Zeit abspritzbarer grüner Kacheln, Betonböden und Kletterstangen aus Metall. Ausgediente Feuerwehrschläuche hängen von der Decke. Weder Holzwolle noch Spielzeug oder alte Bettlaken schaffen es je, den Charakter von Irrenhaus zu vertuschen.
Die Außengehege sind leer. Die Bonobos sind drinnen in ihren zwei grünlichen Schauräumen hinter Glas. Ich habe stundenlang entweder draußen oder hier auf der Bank gesessen und mich gefragt, was die schwarzen Zwerge über ihre Welt denken. Grüne Kacheln, Stahlstangen, Beton.
Die alte Alma guckt vom höchsten Tisch an die Wand gegenüber. Gut erkennbar an ihrer Stirnglatze.
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