Die Affen von Cannstatt (German Edition)
sind.«
Stimmt, die Polizei war am Montag bei uns und hat auch meine Personalien aufgenommen. »Aber ich konnte doch gar nichts sagen.«
»Und ich bin nicht der ermittelnde Staatsanwalt«, erwidert er. »Aber wir reden natürlich unter Kollegen. Ich bin für Wirtschaftsdelikte zuständig. Ich vertrage die Auseinandersetzung mit Leichen nicht, wie Ihnen nicht entgangen sein dürfte.«
»Ah so?« Was will er dann hier?
Er lächelt. Ich merke, er legt es darauf an, mich aus der Reserve zu locken. »Aber ich kenne Ihren Vater«, sagt er. »Keine Sorge, nicht als Kunde. Ich habe sogar Sie schon einmal gesehen. Es könnte der Dreißigste Ihres Vaters gewesen sein. Oder ein Firmenjubiläum. Da waren Sie aber noch so.« Er senkt die Hand auf Kniehöhe. »Sie erinnern sich vermutlich nicht an mich.«
Nein, ich erinnere mich nicht.
Er schaut mich wohlgefällig an. Hat auch er einst mein blondes Köpfchen gestreichelt und »Armes Kind« gesagt? Ich bringe kein Wort heraus. Meine Mutter stranguliert mich. Wenn er mich als kleines Kind gesehen hat, erinnert er sich sicherlich auch an die Kindsmörderin vom Muckensturm und weiß, wer ich bin.
»Offenbar schlagen Sie mehr in die andere Feh’sche Richtung«, plaudert er weiter, »die der Juristen. Ich kenne auch Ihren Onkel gut, Gerald Feh, ein verwegener Strafverteidiger, gefürchtet bei den Kollegen.« Weber sieht nicht aus, als gehöre er zu den Kollegen, die meinen Onkel fürchten.
»Nein, ich habe nicht Jura studiert«, antworte ich.
»Ach ja, klar, die Bonobostudie. Was macht denn eine Biologin in einer Unternehmensberatung?«
»Ich habe auch nicht Biologie studiert, sondern Soziologie, allerdings ohne Abschluss.«
»Entschuldigen Sie, ich wollte nicht indiskret sein.«
Doch, er will. »Till Deutschbein war übrigens Chef meiner Abteilung«, sage ich, um weiteren Fragen zuvorzukommen.
»Ah, so?«
»Aber ich hatte nicht viel mit ihm zu tun.«
Weber lächelt. »Und Sie möchten weder Gutes noch Schlechtes über ihn sagen.«
Ich erwidere sein Lächeln. »Über einen Chef lässt sich nur zu leicht Schlechtes sagen.«
»So jung und schon so viel Lebenserfahrung?« Er mustert mich väterlich.
Nein, unsympathisch ist er mir nicht. Wie er im Affengehege umgekippt ist, das hatte Stil. Er hatte es nicht einmal nötig, uns danach mit Erklärungen zu langweilen, um seine beschädigte Männlichkeit zu restaurieren. Den interessiert es nicht, was wir von ihm denken. Er scheint keinen Groll mit sich herumzutragen, er muss sein Mütchen nicht an Schwächeren kühlen. Und die Ruhe, mit der er diese Hyäne erträgt …
Hyänen haben einen Scheinpenis und Scheinhoden. Äußerlich kann man sie nicht von den Männchen unterscheiden. Sie können ihren Penis sogar erigieren. Kein Hyänenmännchen hat die Chance, sie gegen ihren Willen zu besteigen. Denn er muss sich beim Akt fast auf den Rücken legen, um unter ihr ranzukommen. Macht sie einen Schritt nach vorn, schafft er es nicht. Das Matriarchat der Hyänen ist allerdings nicht friedlich wie das der Bonobos. Die Weiber sind vollgepumpt mit Testosteron, bissig und brutal. Schon die Welpen kommen mit Mordlust auf die Welt, die Stärkste beißt den Schwächeren tot. Die Männchen müssen nett sein und stehen doch am Ende der Beißfolge, noch hinter den Welpen. So sichern die Hyänen auch das Überleben ihrer Nachkommen. Wenn ein Rudel sich die Beute teilen muss, bekommen die Weibchen und ihre Jungen am meisten. Für die Rüden bleiben nur die Knochen. Im Zoo würden sie verhungern, wenn der Pfleger sie nicht extra fütterte.
Im Fernsehen habe ich mal gesehen, wie in der äthiopischen Stadt Harar jeden Abend ein Hyänenflüsterer die Bestien mit Fleisch füttert. Er tut es seit zwanzig Jahren. Jede einzelne hätte ihm mit einem Biss das Genick brechen können, doch sie schnappen artig Fleisch von der Spitze eines Stocks, den er im Mund stecken hat. Die Sitte stammt aus dem 16. Jahrhundert. Ein Emir kam auf die blöde Idee, die Stadt mit einer Mauer abschotten zu lassen. Bis dahin hatten die Hyänen nachts in den Gassen den Abfall gefressen. Nachdem das nicht mehr ging, fielen sie vor den Toren die Menschen an. Also begann man, sie zu füttern. Die Legende behauptet, der Emir habe den König der Hyänen aufgesucht und mit ihm einen Nichtangriffspakt geschlossen. Was natürlich Humbug ist. Er hätte sich an die Königin wenden müssen. Offenbar ist die islamische Männergesellschaft nicht imstande zu erkennen, dass die Hyänen im
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