Die Affen von Cannstatt (German Edition)
Interesse haben. Sie kommen mir so erfunden vor wie das Detektivduo in einer altertümlichen Fernsehserie aus den siebziger Jahren, über die meine Pflegemutter in nostalgische Begeisterung geraten kann. Komische Frisuren, flotte Sprüche, taffe Frauen mit Karatekenntnissen. Nur hübscher hätte sie sein müssen, katzenhafter.
Sie will wissen, was jetzt mit den Bonobos passiert. »Schläfert man sie ein wie bissige Kampfhunde?«
»Das wohl nicht«, antwortet Heidrun. »Sie sind zu wertvoll. Aber man wird sie vermutlich trennen und auf verschiedene Zoos verteilen.«
»Wenn man jetzt aber die Haupttäterin identifizieren könnte«, beharrt Nerz, »wenn man wüsste, welche die entscheidenden tödlichen Bisse platziert hat …?«
»Wie soll man das denn feststellen können?«, seufzt Heidrun.
»Das geht«, antwortet Nerz. »Es ist die Hauptaufgabe des Rechtsmediziners herauszufinden, woran das Opfer gestorben ist. Er weiß, welche Bisse tödlich waren. Man müsste dieDNS der Speichelspuren an diesen Bisswunden mit der DNS der einzelnen Tiere abgleichen. Dann hätte man das Tier in dieser Gruppe, das tötet.«
»Und wer soll das bezahlen?«, murmelt der Staatsanwalt. »Gegen Affen wird nicht ermittelt. Wenn ich die Anträge stellen müsste, ich wüsste nicht, wie ich die Ausgabe begründen sollte.«
»Aber es gibt Institute für Gentests bei Zootieren«, sage ich. Und Heidrun nickt. »Man schickt regelmäßig Federn oder Blut ein, um ein Geschlecht feststellen oder genetische Linien abklären zu lassen. Für so was hat der Zoo einen Etat.«
»Also!« Nerz schaut Weber an.
»Es bleibt dem Zoodirektor unbenommen, bei uns Genproben anzufordern«, antwortet er. »Aber für die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hat das keine Relevanz. Die Kollegen suchen den Täter nicht unter den Affen. Überdies kennen wir das rechtsmedizinische Gutachten noch nicht. Für die Anklage wird entscheidend sein, ob der Täter damit rechnen konnte oder musste, dass die Affen den Geschädigten töten. Dann liefe es auf eine Mordanklage hinaus. Wenn damit nicht zu rechnen war und der Täter auch nicht damit gerechnet hat, käme Freiheitsberaubung und Körperverletzung mit Todesfolge in Betracht.«
Nerz lacht. »Das wird ein schöner Gutachterstreit. Allerdings müsste man den Täter erst einmal haben.«
»Warum sind Sie sich so sicher«, frage ich, »dass Till … äh, Herr Deutschbein Opfer eines … Anschlags wurde?«
Die Hyäne guckt mich prüfend an. »Soweit ich weiß, hat man Spuren einer zweiten Person sichergestellt. Welche genau, hält die Polizei unter Verschluss. Täterwissen vermutlich.«
Mir klopft das Herz.
»Und warum«, fährt Nerz fort, »hätte er sich auch selbst einsperren sollen? Abgesehen davon, dass er es von innen heraus gar nicht gekonnt hätte.«
Ja, warum hätte er das tun sollen? Andererseits kann ich mir leichtere Mordinstrumente denken als unberechenbare Affen. Es sei denn, es ist so, wie diese Hyäne meint: Jemand hat an Till ein Exempel statuieren wollen, auf gut Glück sozusagen. Mal schauen, ob das Matriarchat Männer tötet.
Wenn es aber nicht ein zweiter Mensch, sondern Zete oder Oicha war, die den Riegel zugeschoben und das Hängeschloss zugedrückt hat? Ich komme nicht dazu, den Gedanken weiterzuverfolgen, denn Weber hat seine Zigarette niedergeraucht und schaut sich wohlerzogen nach einem Aschenbecher um. Ich deute auf einen Abfalleimer unterm Schnee. Er setzt sich in Bewegung. Dabei zuckt er zusammen, als hätte er Schmerzen irgendwo in der Hüfte oder im Rücken. Er strafft sich schnell. Auf dem Rückweg suchen seine Augen erneut meinen Blick. »Ich hatte vor einem Jahr einen Unfall«, informiert er mich. »Zwei Wirbel gebrochen. Ich bin knapp an einer Querschnittslähmung vorbeigeschrappt.« Seine Augen sind von holzigem Hellbraun. Er flirtet.
»Oh«, mache ich. Um auf seine Flirtanfrage einzugehen, müsste ich nachfragen und Interesse zeigen. Ich unterlasse es.
Er verdrückt ein Schmunzeln in den Mundwinkeln. »Und Sie arbeiten nicht im Familienunternehmen?«
Woher weiß er das? Ich lege ihm automatisch fabrizierte Standardsätze vor. Ich wolle zunächst einmal meine Erfahrungen woanders machen. Auf eigenen Beinen stehen.
Er nimmt mich erneut in seinen asymmetrischen Blick. »Entschuldigen Sie meine Neugierde. Vermutlich eine déformation professionnelle. Ihr Name taucht in der Ermittlungsakte Wilhelma auf. Deshalb weiß ich, dass Sie im selben Betrieb wie Deutschbein angestellt
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