Die Affen von Cannstatt (German Edition)
meinem Ärger bemerke ich, dass mir erneut das Du rausrutscht.
Sie quittiert es mit einem Lächeln. »So? Hat man sich getrennt? Er von dir oder du von ihm? Nein, sicher du von ihm. Du bist diejenige, die gebrochene Herzen hinterlässt.«
»Was willst du eigentlich? Mit mir flirten?«
»In einem schlechten Krimi flirtet der Detektiv immer mit der undurchschaubaren Schönen, vor allem wenn sie tatverdächtig ist. Außerdem sagt er immer: ›Das ist mir zu einfach‹, wenn die Indizien eindeutig sind. Till Deutschbein war dein Chef, und womöglich ist er dir an die Wäsche gegangen. Du kennst dich mit den Bonobos aus, du hattest Gelegenheit, dir Schlüssel und Zugang zu beschaffen. Folglich kannst du es gar nicht gewesen sein, mein Herz.« Sie wiegt den Kopf. »Aber die Polizei wird das nicht so sehen. In der ersten Zeugenbefragung hat sie dich offenbar links liegen lassen. Aber das wird sich ändern.«
»Nicht, wenn du nicht …« Ich beiße die Zähne zusammen. Aber sie hat schon verstanden.
»Wenn ich nichts weitersage? Nichts über dein Verhältnis zu den Bonobos? Aber, Schätzchen. Richard weiß es bereits. Und bei Mord versteht er keinen Spaß. Zudem sitzt er direkt dort, wo die roten Papiere beantragt werden. Haftbefehle nennen die sich. Im echten Leben sind Verbrechen banal. Und Beziehungstaten. Sie werden dich holen, Camilla.«
Beinahe hätte ich laut herausgelacht. »Ich dachte immer, so etwas passiert nur im Film oder in Amerika.«
Das Lächeln fällt ihr kurz aus dem Gesicht und hinterlässt eine eigenartig dunkle Leere. Dann zieht sie die Kaspermaske wieder hoch. »Du machst mich irre, Camilla. Ich dachte immer, ich bin cool. Aber gegen dich bin ich ein Nervenbündel. Mal anders gefragt: Hast du eigentlich ein Alibi?«
»Für wann sollte ich denn eines haben?«
»Freitagabend bis Samstag früh, schätze ich«, antwortet sie.
»Dann spielen wir jetzt ein bisschen Detektiv und Delinquent, ja?« Ich überlege. »Am Freitag bin ich nach der Arbeit nach Hause gegangen. Habe mir Tee gemacht.«
Der Wasserkocher hat sich längst mit lautem Klick abgestellt.
»Später habe ich mir etwas gekocht. Ach so, ja, den Fisch habe ich mir auf dem Heimweg im Supermarkt in der Marktstraße besorgt.«
»Der Fisch wird es nicht mehr bezeugen können.«
»Filiz – eine Freundin von mir – hat angerufen, ob ich mit ihr später noch auf eine Nikolausfeier gehe. Ich war unschlüssig. Ich war … nicht so gut drauf. Dann bin ich bei einem Film auf Arte hängen geblieben.«
»Was für einer war das?«
»An den Titel erinnere ich mich nicht mehr. Ein älterer französischer Film. Es ging um ein Dienstmädchen auf einem Dorf und deren Freundin, eine Postbotin. Der Vater des Dienstmädchens ist bei einem Brand ums Leben gekommen, aber ihr hat man nichts nachweisen können. Die Postbotin hat ihre Tochter misshandelt, so dass sie gestorben ist. Auch ihr hat man Absicht nicht nachweisen können. Sie sagt, es sei ein Unfall gewesen. Sie lachen darüber. Am Schluss erschießen die beiden Frauen aus läppischen Gründen die ganze Familie, bei der das Dienstmädchen angestellt ist.«
»Hui«, macht Lisa.
»Ich wollte ihn gar nicht schauen«, sage ich, »aber ich bin nicht losgekommen.«
»Auch das ist kein Alibi«, sagt Lisa. »Den Inhalt eines Films kann man sich in Wikipedia aneignen.«
Dann hätte ich wohl den Titel gewusst, denke ich. Ich bin, bevor ich verhaftet wurde, nicht mehr dazu gekommen, ihn nachzuschauen. Vielleicht hätte es geholfen, die Bilder dieser Frauen mit diesen gefühllosen Gesichtern aus meiner Erinnerung zu vertreiben. »Um die grässlichen Bilder abzuschütteln«, erzähle ich, »bin ich dann doch noch auf die Nikolausfeier in die Rote Kapelle gegangen. Das ist am Feuersee.«
Lisa nickt. Sie kennt die Kneipe. Natürlich.
»Filiz war schon dort. Es gab ein Büfett und Musik und Tanz. Das muss so gegen zehn, halb elf gewesen sein. Später habe ich Filiz dann allerdings aus den Augen verloren. Ich habe mich eine Weile mit einem Typen an der Bar unterhalten. Wir haben getanzt. Wie er hieß, weiß ich nicht. So gegen zwei, halb drei bin ich nach Hause.«
»Du bist wohl eher ein lonesome cowgirl, hm?«, bemerkt Lisa. »Alleine kommen, ein bisschen flirten, abtanzen und alleine gehen.«
»Vielleicht.«
Sie schaut mich an. Wieder fallen mir ihre hübschen Augen auf. Was hat die für ein Problem?, frage ich mich. Nur wegen ein paar kaum sichtbarer Narben muss man sich doch nicht als Frau
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