Die Ahnen der Sterne: Roman (German Edition)
Greg den Zyradin nach Niwjesta gebracht hatte. Solvjeg entspannte sich ein wenig, als sie erfuhr, dass ihr Sohn schon bald nach Darien zurückkehren werde. »Ich weiß, dass er sich sehr freuen wird, wenn ihr ihn in Empfang nehmt, aber es muss einen wichtigen Grund geben, wenn ihr die sicheren Hrothgars verlasst …«
Als Solvjeg einen gequälten Blick mit Ian wechselte, wusste Theo Bescheid.
»Es geht um Ned«, sagte Ian. »Er war einer von denen, die in der Werft umgekommen sind.«
Theo seufzte – Ned, der jüngste der drei Cameron-Jungs, Ned, der Arzt, Pokerspieler und Comiczeichner. Und Ned, der Altenbetreuer, eine Seite, die er vor seinem Onkel geheim gehalten hatte. Jetzt war er tot, ausgelöscht.
Ich werde dich im Gedächtnis behalten, mein Junge. Ich werde dafür sorgen, dass man dich nicht vergisst.
»Das tut mir leid«, sagte er.
Solvjeg zuckte traurig die Achseln. »Ich bewahre sein Andenken im Herzen. Er wird immer bei mir sein, Theo, also lass uns gehen. Es wird kalt.«
Er nickte wortlos und führte sie aus dem Tal hinaus, in dem es nun rasch dunkel wurde.
11 Chel
In ein Kapuzengewand gehüllt, wanderte er an der Talseite entlang, mit den vorsichtigen Schritten einer Person, die bei jeder Bewegung mit Schmerzen rechnet. Die Erinnerung an den Schmerz war so frisch, so nah, so klar und deutlich, dass er sich am liebsten fallen gelassen und zusammengerollt hätte. Doch Chel wusste, wie grausam die Strafe ausfallen würde, und ging deshalb weiter. Er konnte dem Schmerz und der Erinnerung daran nicht entkommen (ein Schmerz wie von messerscharfen, rot glühenden Klauen, die ihm Kehle, Hals und Bauch aufrissen), und doch musste er es versuchen. Der einzige Weg bestand darin, die Befehle des Ritters der Legion der Avatare exakt und ohne Zögern bis ins kleinste Detail auszuführen.
Hinter ihm ging Rory. Chel war froh, dass er das Gesicht des Menschen nicht sehen konnte, froh, dass es ihn nicht an sein eigenes Versagen erinnerte, an seine Kapitulation, an seine Schuld. Kurz nach ihrer Gefangennahme vor wenigen Tagen (war das fünf oder sechs Tage her? Oder sieben? Oder noch länger?), als sie in der Robotfabrik eingesperrt gewesen waren, war ihm der geisterhafte Pfadmeister erschienen und hatte ihn gedrängt, die Maschinenerweiterungen anzunehmen, um sie zu besiegen. Zunächst hatte er geglaubt, es könne ihm gelingen, dem Legionsritter seine wahren Absichten zu verheimlichen, doch die zermürbende Abfolge von Drogen und Schmerzkonditionierung hatte all seine Pläne zunichtegemacht. Die Implantate, die auf seine Nervenbahnen zugriffen, konnten überall im Körper grauenhafte Schmerzen auslösen. Unter ihrem Einfluss zerbrach sein Selbstbewusstsein und machte dem verzweifelten Wunsch Platz, diesem gewaltigen, geistzerstörenden Schmerz aus dem Weg zu gehen.
Der Mensch Rory vermochte der zerstörerischen Folter noch weniger entgegenzusetzen als Chel und hatte sich früh unterworfen. Zunächst hatte Chel Rorys Gemütsverfassung noch mit seinen Sehergaben erspüren können, doch es dauerte nicht lange, da hatten die Implantate jeden Einsatz dieser Sinne mit fürchterlichen Schmerzattacken bestraft, die seinen Rücken von oben bis unten durchzuckten. Irgendwann, als er kaum mehr bei Bewusstsein war, hatte man seine Seheraugen mit einer Art Klebeband verschlossen, doch das hatte er bald darauf vergessen.
Immer weiter ging es, einen von Gebüsch und hohem Gras halb überwachsenen Weg entlang, der noch feucht war vom letzten Regenschauer. Allmählich dämmerte der Abend, und es herrschte eine eigenartige Stille. Ihre weiten, graubraunen Gewänder waren von den Knien abwärts von Feuchtigkeit durchtränkt. Vor ihnen weitete sich das schmale Tal, der Weg wurde steiler, der Bewuchs wurde dichter und vereinigte sich mit dem umliegenden Gebüsch und den Ansammlungen von Bäumen. Immer mehr Bäume ragten an den Hängen aus dem Gewirr der Ranken und Kletterpflanzen empor. Die kalte, frische Luft war nach der Enge in der Robotfabrik erfrischend. Chel schnupperte den Duft des Laubes, der regennassen Blüten und der feuchten Erde. Dies alles verband sich zu einem Lied, an das seine Sinne sich erinnerten, dem Lied des Lebens und der Erneuerung, dem unaufhörlichen, lieblichen Lied Segranas …
Er stolperte – und wurde sich unvermittelt bewusst, wo er sich befand. Der vor ihm liegende Wald war Glensturluson, einer der sieben Tochterwälder auf Darien, Zufluchtsort für den grünen Geist Segranas, Nährboden für die
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