Die Ahnen von Avalon
begrüßte die Besucherinnen lächelnd mit der angemessenen Erwiderung.
»Es ist wahr, was behauptet wird. Ihr gehört der Schwesternschaft der Fernen Lande an.« Ayo war älter, als sie auf den ersten Blick gewirkt hatte, doch als sie sich setzte, tat sie das mit einer eleganten Leichtigkeit, die Elara an deren Tochter Anet erinnerte.
»Aber unser Land gibt es nicht mehr«, antwortete Timul mit ausdrucksloser Stimme. »Wir müssen lernen zu sehen, welches Antlitz die Herrin in diesem Land trägt, sonst könnten wir womöglich ihrer Beachtung entgehen.«
»Richtig«, lächelte Ayo. »Ihr beherrscht unsere Sprache sehr gut, allerdings mit dem Akzent des Stammes des Schwarzen Stiers. Mir ist zu Ohren gekommen, dass unsere Schwestern auf großes Entgegenkommen gestoßen sind, als sie die fremden Steinhäuser am Meer besucht haben. Ich freue mich, Eure Bekanntschaft zu machen. Aber welches ist der Grund Eures Kommens?«
»Die Priester meines Volkes werden morgen große Magie erwirken. Ich wurde aufgefordert, daran teilzunehmen.«
»Und Ihr, Kind? Soweit ich weiß, seid Ihr in der Heilkunde bewandert.« Ayos graue Augen hatten sich Elara zugewandt, und diese hatte Mühe, sich dem Blick zu entziehen.
»Ich bin ebenfalls Sängerin«, antwortete sie. »Und ich werde dabei helfen, den Kreis aus Steinen zu errichten.«
»Aha. Und welchem Zweck soll diese Magie dienen?«
Elara biss sich auf die Lippe, unschlüssig, was sie antworten sollte. Die Priesterschüler und Zöglinge waren nicht über alles aufgeklärt worden, doch sie hatte genug gehört, um zu wissen, dass die Hüter annahmen, König Khattar werde den Sinn des Kreises nicht durchschauen - und dass sie es vorzogen, es dabei zu belassen. Diese Frau hier war Khattars Gemahlin, wie unabhängig von ihm sie auch sein mochte. Elara log nicht gern, deshalb würde sie ihre Worte sehr sorgfältig wählen müssen.
»Ich bin eine Dienerin des Lichtes«, sagte sie zaghaft, »und ich glaube, wenn der Kreis vollendet sein wird, werden die Steine Licht ins Land bringen.«
»Licht ist bereits im Land, es strömt wie ein Fluss. Die Seelen der Vorfahren reiten auf seiner Strömung ins Jenseitsland und kehren dann in die Leiber unserer Frauen zurück.« Ayo runzelte nachdenklich die Stirn.
»Ich habe gehört, den Schamanen gefällt nicht, was wir tun«, sagte Timul unvermittelt, »und am liebsten würden sie uns am Weiterarbeiten hindern, was aber nicht geht, weil unsere Priester vom König unterstützt werden. Meint Ihr auch, wir seien… auf dem falschen Weg?«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber Eure Zahl ist gering«, sagte Ayo, »und es gibt viele Dinge, die Ihr nicht versteht.«
»Was wollt Ihr damit sagen?« Elara sah sie unsicher an.
»Wenn ich Euch das erklären könnte, bräuchte ich es nicht zu tun.« Ayo lächelte. »Aber eines Tages werden wir alle ein Volk sein.«
»Sprecht Ihr von einer Verehelichung Eurer Tochter mit Prinz Micail?«
Ayo lachte. »Khattar und Königin Khayan sind diejenigen, die diese Verbindung wünschen. Doch meine Tochter ist nicht dazu bestimmt, irgendeinem Mann den Herd zu hüten. Sie wird der Göttin zu Gefallen sein, nicht dem König. Trifft das nicht auch auf Euch zu?«
Timul nickte. »Nach meiner Anschauung sind wir frei, ja.«
»Khattar möchte lediglich Euer Volk an sich binden«, sagte Ayo. »Wenn nicht durch das eheliche Bett… dann wird er danach trachten, sein Ziel mit anderen Mitteln zu erreichen. Vielleicht sind seine Hoffnungen zu hoch gesteckt, aber bedenkt doch Eure eigenen«, sagte sie lächelnd.
Ist das eine Drohung oder eine Warnung?, fragte sich Elara erschrocken.
In diesem Augenblick kam die Dienerin mit einem Korb voll flacher, mit Honig überzogener Kuchen herein, und die Unterhaltung schwenkte zu bewusst unverfänglichen Gesprächsgegenständen um. Doch später, als Elara Timul ins atlantidische Lager zurück begleitete, rätselten beide noch, was von Ayos geheimnisvollem Lächeln zu halten sein mochte.
Schließlich war der für die Errichtung des Monuments ausgewählte Tag gekommen. In dem Graben um das Dorf herum war ein Schwirren und Summen wie in einem Bienenstock. Dem Eingang gegenüber war eine Bank für König Khattar aufgestellt worden.
Für Micail war es qualvoll, die Sänger zu begrüßen, die innerhalb des Kreises warteten wie Geister aus seinem einstigen Leben; ihre edlen weißen Gewänder rochen noch immer nach den atlantidischen Gewürzen, mit denen zusammen sie verpackt gewesen waren,
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