Die Ahnen von Avalon
doch mit einem Anflug unerwarteter Kraft holte sie Tjalan ein, packte ihn am Schwertarm und drehte diesen zur Seite. Der Prinz schrie vor Zorn laut auf, doch sie rannte weiter, und im nächsten Augenblick hatte sie Reidel eingeholt; sie packte ihn und warf ihn zu Boden. Sein Körper war warm und straff, und sie hielt ihn fest, keuchend, so wie sie ihn einst umklammert hatte, als sie sich geliebt hatten.
»Du wirst leben, verdammter Kerl!«, flüsterte sie ihm zu, während er die Augen vor Überraschung weit aufriss.
Micail gewann die Beherrschung über das Chaos. Im Wort seiner Macht fand er einen neuen Klang, um den wachsenden Schwingungen zu begegnen, die das Land zu vernichten drohten. Doch die Energie musste irgendwohin abgeleitet werden. Für einen Augenblick, der ihm wie eine Ewigkeit erschien, umlauerte ihn ein düsteres Schicksal wie eine aufgehaltene Explosion. Er hatte kaum Zeit, die Kräfte zu berechnen, sich die Stellung jedes einzelnen Lebensfunkens einzuprägen und die Lücken zwischen den Steinen zu ermessen.
»Zurück!«, schrie er den anderen zu. »Bringt euch in Sicherheit, wenn ihr könnt!« Dann sang er den Ton, von dem er hoffte, er werde die Energie von den Sängern abwenden, und hielt ihn mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft, während die ganze Urgewalt, die in den Trilithen steckte, aus ihnen herausbrach.
Chedan spürte, wie die Wucht des Angriffs geringer wurde, und er geriet ins Straucheln, als ob der Wind, gegen den er sich anstemmte, plötzlich nachgelassen hätte. Erst jetzt, da der Druck schwand, merkte er, wie sehr ihn die Anstrengung erschöpft hatte. Tiriki, die sich an Kalaran festhielt, war so weiß geworden wie ihr Leinenkleid, aber sie lächelte. In den Gesichtern der anderen sah er die gleiche Mischung aus Erstaunen und Freude.
Wir sind noch mal davongekommen!, dachte er und spürte, wie sein Herz pochte. Just in diesem Augenblick durchbrachen die Kräfte, von denen sie geglaubt hatten, sie seien verschwunden, die zurückgenommene Barriere wie eine Herde wild gewordener Stiere.
Chedan war schnell wieder auf den Beinen und schwenkte seinen Stock.
»Hinweg!« Der Widerhall seines Rufs schallte übers Land. Verzweifelt warf er sich mit Geist und Seele dem Ruf hinterher, zu den windigen Gefilden des Himmels hinauf. Schließlich sackte seine körperliche Hülle zu Boden und bewegte sich nicht mehr.
Von der nordöstlichen bis zur südwestlichen Seite des Steinkreises brach sich die Gewalt frei und strahlte halbkreisförmig aus; sie brachte den Dreistein des Stammes des Gelben Stiers im Norden zum Einsturz; herumfliegende Steine trafen die am nächsten stehenden Sänger. Eine senkrechte Säule des großen mittleren Trilithen des Stammes des Roten Stiers stand noch, doch der Deckstein war weggerissen worden. Die Zerstörung breitete sich schnell im Steinkreis aus, und die meisten senkrechten Säulen an der westlichen Seite des Kreises kippten um. Die Soldaten, die bisher noch nicht das Weite gesucht hatten, flohen vor den herumfliegenden Steinen. Ein großer Brocken warf Prinz Tjalan zu Boden, während ein Hagel kleinerer Trümmer auf Damisa niederging, deren Körper immer noch den von Reidel schützte.
In der Mitte des Steinkreises aber stand Micail immer noch in aufrechter Haltung, umringt von ein paar geduckten Gestalten. Er sang weiter und blieb stehen, bis der letzte Nachhall verklungen war und nur noch Staubwolken übrig waren, Zeugen der Gewalt, die über die Ebene gezogen war. Erst da stürzte er zu Boden, mit der gleichen verzögernden Trägheit wie die Steine.
20. Kapitel
» Die Sonn' geht auf, finstre Tage sind vorbei
Die Flamme lodert, der Geist schwebt frei,
Die Seele steigt empor in göttliche Hallen,
Bejubelt und begrüßt von allen,
Ein Ende hat alles irdisch' Leid.
Heil sei dir in Ewigkeit! «
Der Rauch zog nach Westen, wie durch die Kraft des Gesangs zum schattenverhangenen Horizont getrieben, während die Flammen unter dem Einäscherungsfeuer hoch aufloderten. Jeder, der kräftig genug war, um den Aufstieg zum Gipfel des Heiligen Berges zu schaffen, war anwesend - atlantidische Priester und Priesterinnen mischten sich mit Seemännern, Kaufleuten und Sumpfbewohnern, und alle waren vereint in ihrer Trauer. Tiriki hatte auf Ahtarrath schon prächtigere Bestattungen erlebt, jedoch noch nie eine so von Herzen kommende Anteilnahme, denn Chedan Arados war von allen geliebt worden.
Es war ihnen wie ein gemeiner Verrat vorgekommen, dass sie sich von
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