Die Akte Daniel (German Edition)
natürlich einverstanden und folgte ihr neugierig.
Mrs. Terranto erklärte ihm auf dem Weg noch so einiges und erzählte ihm Anekdoten von Menschen, die er noch gar nicht gesehen hatte und auch nie treffen würde, da sie schon lange tot und in die Ahnengalerie des Instituts eingegangen waren.
Es war merkwürdig: Sie behandelte ihn so, als wollte sie ihm alle Möglichkeit geben, alles zu wissen und zu hören, damit er auch wirklich eine Entscheidung treffen konnte. Jeder Mensch hier war so freundlich, dass sich Daniel langsam wirklich fragte, wo der Haken war.
Den einzigen Haken, den er bisher hatte entdecken können, war, dass er wohl für lange Zeit oder auch für immer seine Eltern nicht mehr sehen würde. Das Wissen tat weh. Aber noch blieb ihm die Option, einfach all dem hier den Rücken zu kehren. Dennoch stellte sich für Daniel die Frage, was es noch für Haken gab.
Mrs. Terranto lotste ihn in den Ostflügel des Gebäudes, wie sie sagte. Im zweiten Stock lagen mehrere Dutzend Zimmer nebeneinander, all mit Nummern versehen wie in einem Hotel. An einer Tür am Ende des Ganges blieb sie stehen, klopfte und trat dann ein.
Das Zimmer dahinter war hell und luftig. Spiegelbildlich angeordnet befanden sich dort zwei Schreibtische unter den Fenstern, zwei Schränke und zwei Betten aus dunklem, glänzenden Holz.
Auf dem linken Bett, über das ein Baldachin aus rotem Stoff gezogen war, lümmelte Sunday mit einem Comic in der Hand. Er sah erst überrascht, dann zufrieden aus.
»Also doch!«, rief er und klang dabei so, als hätte er eine Wette abgeschlossen und gewonnen. »Und, soll ich auf ihn aufpassen oder er auf mich?«, fragte er an Mrs. Terranto gerichtet.
»Beides. Ihr sollt gegenseitig auf euch aufpassen« Mrs. Terranto lachte vergnügt. »Du hast noch keinen Zimmergenossen und keinen Kameraden, der auf dich aufpasst. Da ihr euch offenbar sehr gut versteht, sollt ihr beiden es einmal miteinander probieren. Zumindest so lange, bis sich Daniel endgültig entschieden hat, heißt das. Wenn er bleibt, dann kann er auch hier bleiben, wenn ihr beide es möchtet.«
Sie sah Daniel an. »Ich hoffe, dass dir das recht ist. Aber, damit du nicht aus allen Wolken fällst, Sunday ist ein ganz besonderer Junge. Anders als du. Er wird nachts manchmal nicht da sein oder sich merkwürdig benehmen – also noch merkwürdiger als sonst. Ich möchte aber, dass er dir das selbst genauer erklärt, da ihr miteinander auskommen sollt. Aber ich will auch, dass du weißt, dass da etwas ist; nicht dass er vergisst, dir die Details zu erklären.« Sie zwinkerte Sunday zu, der das Gesicht verzog. Niemals, so schien er zu sagen, würde er etwas wirklich Wichtiges vergessen. Daniel nickte und kam sich wieder einmal ziemlich dumm vor. Dass Sunday selbst für hiesige Verhältnisse etwas auffiel, hatte er ja schon begriffen, aber da sollte noch etwas anderes sein? Nun, wenn er fragen durfte ...
Sunday schwang seine Beine aus dem Bett. »Ich erklär ihm alles, keine Sorge, Mrs. Terranto. Er ist ja noch nicht genug verwirrt worden heute!« Er lachte eindeutig erfreut. »Komm rein, Daniel, und mach es dir bequem. Ich beiße nicht. Jedenfalls nicht bei Tag.«
Daniel riss die Augen auf. Er konnte sich gerade noch verkneifen, zu fragen: »Du beißt?«
Mrs. Terranto schien jedenfalls zufrieden.
»Auf dem Bett und im Schrank sind Sachen für dich zum Wechseln. Wenn du duschen solltest, dann decke bitte die Kanüle ab. Morgen bekommst du wieder einen Tropf. Du brauchst noch eine Menge und musst viel aufholen. Aber keine Sorge: Das schaffen wir! So, nun macht es euch bequem. Gute Nacht!« Sie sah sich noch einmal um und fand wohl, dass sie für den Moment alles getan hatte, was notwendig war, dann wandte sich an Sunday. »Vergiss nicht, dass du noch Hausaufgaben machen musst – auch wenn du nun einen Zimmergenossen hast. Ich will morgen keine Klagen hören.«
»Zu Befehl, Ma’am!« Sunday salutierte und grinste ein wenig irre.
Mrs. Terranto lächelte Daniel noch einmal zum Abschied an, dann verließ sie das Zimmer.
Damit war er mit dem merkwürdigen Jungen allein, den er eigentlich ganz sympathisch fand, auch wenn das Wörtchen irre mit seiner Bedeutung ganz gut auf Sunday zu passen schien.
Er sah Sunday an, der jetzt ganz gespannt wirkte. Probeweise ließ er sich auf sein Bett fallen. »Es ist echt schön hier. Gibt es eigentlich noch mehr Steigerungen?«, fragte er. »Ich glaube, dass ich träume. Aber irgendwie dann wieder
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