Die Akte Daniel (German Edition)
er ein großes Potential mit sich trug, welches nur noch gefördert werden musste. Vielleicht würde er Tracker , vielleicht aber auch Wissenschaftler werden. Das hing davon ab, welche Neigungen er hatte.
Es gab noch so viele andere Jobs und Berufungen. Manche der Begabten gingen aber auch in die Verwaltung und Administration. Nicht selten wurden einige dortige Hochbegabte zu Mitgliedern des Rates. Aber die Auslese dafür war hart und, wie Stella im Privaten meinte, ziemlich ungerecht. Sie würde jedenfalls nie verstehen, welche Kriterien nun wirklich ausschlaggebend waren oder ob es an und für sich nicht doch nur Vetternwirtschaft und eine Frage des politischen Einflusses war. Sie selbst jedenfalls würde nie zum Rat gehören wollen, selbst wenn man ihr es angeboten hätte.
George war da eher der Typ dafür; in einigen Jahren würde er dort sicher Einzug halten.
Die Zwillinge verdrückten sich in die Cafeteria, um sich an den köstlichen Kuchen dort gütlich zu tun. Ab und zu waren sie eben doch noch Kinder, obwohl sie seit nunmehr drei Jahren mit Stella zusammen arbeiteten. Die junge Frau fühlte sich plötzlich richtiggehend alt mit ihrer fast siebenjährigen Erfahrung im Außeneinsatz.
Sie blinzelte jedoch, als sie ein bekanntes Gesicht sah. Der Junge, dem das Gesicht gehörte, hielt ein Buch fest, lief blind für seine Umgebung vorwärts und wirkte sehr ernst. Die Haare waren dunkel und verstrubbelt und im Gegensatz zu den gut genährten Kindern des Internats wirkte er geradezu kränklich. Da war er, der Schützling, den sie aus den Klauen der Firma hatten retten sollen, und es war ihnen trotz aller Schwierigkeiten gelungen. Ihre Strafarbeit war dieser Anblick wert.
Der Rest war unwichtig, auch wenn es bedeutete, das buchstäblich offener Krieg zwischen ihnen und der Firma ausgebrochen war. Allein durch eine mögliche Öffentlichkeit begrenzt, würde die Firma versuchen, sich an ihnen in irgendeiner Weise wegen des Verlusts des Jungen und der Versuchsanlage zu rächen. Das hatte es schon einmal gegeben. Vor knapp 150 Jahren. Erst seit 90 Jahren gab es einen recht wackeligen Waffenstillstand zwischen dem Ordo und der Firma. Dem hatten sie fulminant ein Ende bereitet.
Der Junge ging weiter und war so vertieft in sein Buch, dass er Stella beinahe umgerannt hätte, wäre sie nicht ausgewichen.
»Hoppla. Du solltest beim Gehen besser nicht lesen«, rügte sie sanft und lächelte den Jungen an.
Sie erinnerte sich. Daniel hieß er und Daniel sah sie auch mit großen dunklen Augen an, an die sie sich gleichermaßen gut erinnern konnte.
»Entschuldigung«, stammelte der Junge. Er schaute sich um und erkannte, wie weit er schon gelaufen war, ohne dass er von seiner Umgebung auch nur ein Stück mitbekommen hätte. »Danke, ich setze mich hin, dann renne ich keinen mehr um«, meinte er in logischer Schlussfolgerung seiner Feststellung.
»Tu das. Geh nach draußen, dort scheint noch die Sonne«, riet Stella und meinte spontan: »Dir scheint es hier ja schon gut zu gefallen.«
Daniel legte den Kopf schief. »Kennen wir uns?«, fragte er, dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck, als ihm etwas einfiel. »Oh, natürlich, Sie kennen sicher alle Schüler hier. Ja, mir gefällt es hier.«
»Schön. Und nein, ich bin seltener hier«, erwiderte Stella. »Ich gehöre zur Abteilung der Tracker . Wir haben dich gestern hierher gebracht.«
»Oh!«, murmelte Daniel eindeutig verlegen. »Sie haben ...« Er hatte gar nicht gefragt, wie er hierher gekommen war, fiel ihm ein und der Gedanke, dass er nicht einmal mitbekommen hatte, wer ihn hierher gebracht hatte, war ihm unangenehm. »Ich glaube, ich muss mich bedanken, oder?«, fragte er verunsichert.
Stella lachte und steckte sich eine Locke hinters Ohr, die begonnen hatte, sich aus ihrer Hochsteckfrisur zu lösen. »Das ist unser Job. Du musst dich nicht bedanken, Daniel. Hauptsache, du bist hier in Sicherheit.«
»Ich kann mich gar nicht erinnern. Ich hatte nur schlimme Träume und mir tat alles weh. Diadree sagt, dass sie mich auch kennt. Sie war dabei, nicht wahr? Sie ist nett.« Daniel wusste nicht so recht, was er sagen sollte, aber er konnte auch nicht wirklich die Worte stoppen, die aus seinem Mund flossen. Im Stillen hoffte er, dass er nicht allzu dumme Dinge sagte und er sich nicht zu ungeschickt anstellte. »Warum kann ich Ihre Gedanken lesen? Warum die vieler anderer hier nicht?«, fragte er dann leise. Diese Frage hatte ihm schon sein ganzes Leben auf der
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