Die Akte Golgatha
ich die Kassette in Empfang nahm, und das zweite Mal, als ich sie wieder ablieferte. Dazwischen haben wir einmal telefoniert. Ich sagte ihm, dass Schlesinger nicht gekommen sei, sondern ein anderer. Darauf rief er mich nach Turin zurück. Das war alles.«
»Und du hattest keine Ahnung, was du in der Stahlkassette transportiert hast?«
»Keine Ahnung.«
»Und wenn es radioaktives Material gewesen wäre?«
»Mach mir keine Angst! Daran habe ich noch gar nicht gedacht.«
»Was war dieser Professore de Luca für ein Mensch?«
Francesca überlegte kurz, dann erwiderte sie: »Er sah genauso aus, wie man sich einen Forscher vorstellt, der den letzten physikalischen Geheimnissen auf der Spur ist. Klein, untersetzt, mit einem runden Schädel und einem flauschigen Haarkranz, tadellos gekleidet, unkonzentriert und irgendwie nicht von dieser Welt. In seiner Gesamterscheinung durchaus sympathisch, beinahe liebenswert.«
»Und woran arbeitete dieser liebenswerte Professore?«
»Man las ab und zu seinen Namen in der Zeitung. Ich glaube, er hatte als Genforscher einen Namen. Ich habe mich für seine Arbeit nicht weiter interessiert.«
Gropius dachte nach. Irgendwie machte das alles keinen Sinn. Aber wo war im Ablauf des Geschehens der vergangenen Wochen überhaupt noch ein Sinn zu erkennen? In seinem Kopf herrschte Chaos. Aber nicht nur im Kopf, auch seine Gefühle spielten verrückt. Er hatte die Nacht mit Felicia verbracht und fühlte sich zu ihr hingezogen. Aber eine kurze Begegnung mit Francesca früh am Morgen in einer übel riechenden Vorstadt-Pizzeria hatte genügt, seine Gefühle ins Wanken zu bringen. Francesca wirkte auf ihn wie ein Magnet, wie eine unsichtbare Kraft, die ihn mit unbändiger Gewalt anzog. Sogar in Sack und Asche hätte sie mehr Sexappeal als alle Frauen, denen er bisher begegnet war. Du solltest dir die Frau aus dem Kopf schlagen, dachte er bei sich, eigentlich willst du doch nur mit ihr ins Bett gehen, und dein Leben ist schon kompliziert genug. Außerdem – dachte er mit einem Anflug von Humor –, vielleicht ist sie ja auch langweilig wie eine Schildkröte. Also lass es!
»Warum bist du eigentlich hier? Hast du einen Auftrag von VIGILANZA?«, wollte er wissen.
»Nein«, erwiderte Francesca knapp. Ihre Antwort klang beleidigt. »Ich bin gekommen, um dich über meine privaten Angelegenheiten in Kenntnis zu setzen. Du solltest wissen, dass Constantino tot ist. Ich meine, das ändert doch alles.«
Gropius blickte irritiert. Er verstand, was sie sagen wollte; aber in der augenblicklichen Situation fühlte er sich überfordert. »Ich glaube, du solltest wieder nach Hause fahren«, bemerkte er vorsichtig und in der Hoffnung, sie nicht zu verletzen.
Enttäuschung stand Francesca ins Gesicht geschrieben. »Wenn du meinst«, sagte sie leise.
»Versteh mich richtig«, hob Gropius an.
Francesca fiel ihm ins Wort: »Ich habe dich schon verstanden!«
Sie trank ihren Kaffee aus und erhob sich. »Jedenfalls Wünsche ich dir nur Gutes. Schade. Leb wohl.«
Gropius sah, dass ihre Augen feucht waren, als sie ihn flüchtig auf die Wange küsste und das Lokal verließ.
Die Beerdigung des Baulöwen Thomas Bertram wurde zum Medienereignis. Alle Zeitungen hatten über den Transplantationsskandal berichtet, und Breddin hatte in seinem Blatt die Vermutung geäußert, dass der Fall Bertram nur die Spitze eines Eisbergs war und dass möglicherweise weit mehr Patienten bei illegalen Organverpflanzungen ums Leben gekommen wären.
Zu Lebzeiten hatte sich Bertram öffentlich in seinem Reichtum gesonnt, und da – wie man weiß – Geld eine magische Anziehungskraft ausübt, konnte er sich, zumal er auch noch großzügig war, über mangelnden gesellschaftlichen Zulauf nicht beklagen. Einladungen zu seinen Thanksgiving-Partys auf seinem Landsitz in Kitzbühel waren begehrt wie Tickets zur Oscar-Verleihung und ein gefundenes Fressen für Klatschreporter.
Seine Frau Kira, eine Südafrikanerin mit tadellosen Manieren, von der niemand wusste, bei welcher Gelegenheit sie ihm zugelaufen war, war gut zwanzig Jahre jünger als er und – es ließ sich nicht leugnen – auch wesentlich ansehnlicher als Bertram, außerdem trank sie auch weniger Gin als dieser, wozu allerdings nicht viel gehörte, denn Bertram hing an der Flasche, um es euphemistisch auszudrücken.
Aus diesen und anderen Gründen, die auszuführen bei einem Toten der Anstand verbietet (nur so viel sei gesagt: Bertram führte, zur Freude der
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