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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Ministerien.«
    »Das bedeutet«, entgegnete Renner, ohne auf die Bemerkung zu reagieren, »Ruhe in Frieden. Das ist zynisch, mein lieber Ingram!«
    Ingram runzelte die Stirne. »Erstens bin ich nicht Ihr lieber Ingram, Herr Staatsanwalt, und zweitens ist jeder Mord zynisch.«
    Immerhin gab Renner ihm in dieser Hinsicht Recht, denn er nickte zustimmend. Während Ingram sich daran machte, die Schleife mit dem ›zynischen‹ Aufdruck abzulösen, meinte Renner: »Sie müssen unbedingt in Erfahrung bringen, wo der Kranz mit dieser Schleife in Auftrag gegeben wurde.«
    Ingram nahm die Schleife an sich und richtete sich auf. »Was glauben Sie, warum ich das Ding hier abmontiert habe. Aber vielen Dank für den Hinweis!«
    Die beiden konnten einfach nicht miteinander. Und weil zu befürchten war, dass die Auseinandersetzung in Handgreiflichkeiten ausarten könnte, zog Renner es vor, sich knapp zu verabschieden. »Guten Tag.«
    Im selben Augenblick meldete sich Ingrams Mobiltelefon.
    »Ja?« Ingram lauschte, was sein Kollege Murau ihm mitzuteilen hatte.
    »Das darf doch nicht wahr sein!«, erwiderte er dann leise und steckte sein Telefon in die Tasche.
    »Herr Staatsanwalt!«, rief er Renner hinterher.
    Der tat so, als hörte er Ingram nicht.
    »Herr Staatsanwalt!«, wiederholte Ingram so laut, dass es über den Friedhof hallte.
    Renner drehte sich um, und Ingram gab ihm ein Zeichen, er habe ihm etwas Wichtiges zu sagen.
    »Es wird Sie vielleicht interessieren«, meinte Ingram, nachdem er Renner eingeholt hatte. »Ich bekam eben einen Anruf, im Transplantationszentrum der Kieler Universität starb ein Patient nach einer Herzverpflanzung. Nach dem Obduktionsergebnis trat der Tod durch Vergiftung des Spenderorgans mit Chlorphenvinphos ein.«

K APITEL 11
    N iedergeschlagen kehrte Francesca Colella in ihr Hotel in der Nähe des Hauptbahnhofs zurück. Es hieß ›Richard Wagner‹, und der Komponist hätte sich vermutlich im Grab umgedreht, wäre ihm zu Ohren gekommen, dass dieses Haus seinen Namen trug: ein typisches Vertreterhotel inmitten der Stadt mit kleinen, preiswerten Zimmern und einem Parkhaus in unmittelbarer Nachbarschaft. Zwei Tage hatte Francesca bereits hier verbracht und auf Gropius gewartet, und jetzt das …
    Francesca war maßlos enttäuscht, sie hatte gehofft, Gropius würde die Nachricht, dass sie nicht mehr gebunden sei, in jene Leidenschaft versetzen, die er damals in Turin an den Tag gelegt hatte, bevor sie ihn mit der bitteren Realität konfrontierte. Seither hatte sie immer wieder an ihn gedacht, und ihre Zuneigung hatte sich Tag für Tag gesteigert. Sie wusste nicht mehr genau, wann sie zuletzt mit einem Mann geschlafen hatte, sie wusste nur, dass es lange, viel zu lange her war und dass sie die vom Schicksal aufgezwungene Askese möglichst schnell beenden wollte. Gropius hatte ihr von Anfang an gefallen – ein attraktiver Mann, dessen Offenheit sie äußerst anziehend gefunden hatte. Es war ihr schwer gefallen, all ihre Gefühle im Zaum zu halten. Doch nun, nach der Anspannung der letzten Stunden, die in einer herben Enttäuschung geendet war, konnte sie nicht länger an sich halten. Mit der Trostlosigkeit des drittklassigen Hotelzimmers konfrontiert, warf sie sich auf ihr Bett, trommelte mit den Fäusten auf das Kissen und ließ ihren Tränen freien Lauf.
    Tränen haben etwas Befreiendes, und nach einer Heulorgie, die gewiss eine halbe Stunde in Anspruch nahm, erhob sich Francesca, schlurfte ins Badezimmer und benetzte ihr Gesicht mit eiskaltem Wasser. Das tat gut. Dann rückte sie ihre Brille zurecht und trat vor den Spiegelschrank, um sich von Kopf bis Fuß zu betrachten.
    Bist du wirklich so unattraktiv, dass es dir nicht mehr gelingt, einen Mann herumzukriegen, sagte sie zu sich. Oder hatte die abweisende Haltung, mit der sie sich seit Constantinos Unfall umgab, ihr Erscheinungsbild so verändert, dass man sie für einen Blaustrumpf halten musste? Himmel, sie hatte sich Constantino verpflichtet gefühlt und diese Bürde auf sich genommen, aber nun, da er tot war, wollte sie vor allem vergessen. Sie hatte ein Recht auf ein neues Leben, auf Sex, auf Liebe.
    Gropius, dachte sie, während sie sich vor dem Spiegel ihrer Kleidung entledigte, Gropius wäre genau der Mann, dem sie sich liebend gern hingegeben hätte. Sein abweisendes Verhalten hatte sie tief gekränkt. Prüfend sah sie sich an. Für dein Alter, begann sie mit ihrem Spiegelbild zu reden, hast du dich gut gehalten, jedenfalls brauchst du

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