Die Akte Golgatha
Professore de Luca aus dem Wasser gezogen hat.« Francesca blickte nach draußen. Sie wollte nicht, dass er ihr ins Gesicht sah.
»Das verstehe ich nicht«, stammelte Gropius, »dein Mann lag im Koma, er konnte keiner Fliege etwas zuleide tun.«
Francesca hob die Schultern. »Willst du die Geschichte hören?«, fragte sie und sah ihn mit großen Augen an.
»Ja natürlich.«
»Nicht nur du standest unter ständiger Beobachtung, dieselben Leute hatten offenbar auch auf mich ein Auge geworfen. Warum? Ich weiß es nicht. Jedenfalls wussten sie an diesem Tag ganz genau, dass ich unterwegs und meine Mutter eine knappe Stunde aus dem Haus war. Diese knappe Stunde genügte, um in die Wohnung einzubrechen und die gesamte Einrichtung auf den Kopf zu stellen. Dabei war ihnen Constantino offenbar im Weg. Sie haben ihn mit einem Kissen erstickt.«
Betroffen blickte Gropius zu Boden. »Das tut mir Leid.«
Francesca nickte und sagte tonlos: »Wer weiß, vielleicht war es für Constantino sogar eine Erlösung.«
»Aber es war Mord!«
»Keine Frage.«
»Und die Polizei?«
»Wie immer bei uns in Italien. Hektische Ermittlungen mit hohem Aufwand, aber kein Ergebnis.«
»Keine Spur? Kein Hinweis auf die Täter?«
»Nichts. Der Fall landet wohl im Archiv unter Raubmord.«
»Und was wurde geraubt?«
»Nichts! Obwohl die Einbrecher das gesamte Mobiliar durchwühlt, Schränke umgestürzt, Schubladen herausgerissen und Polster aufgeschnitten haben, ließen sie nichts mitgehen. Sogar eine kleine Geldkassette meiner Mutter mit fünfhundert Euro ließen sie liegen.«
»Und du hast keine Ahnung, wonach die Kerle suchten?«
Francesca schüttelte den Kopf und schwieg.
»Und die Polizei sieht zwischen dem Mord an Constantino und jenem an de Luca keine Verbindung?«
»Glaubst du daran?«, fragte Francesca vorwurfsvoll. Und auf einmal brach es aus ihr heraus: »Verdammt, ich will wissen, was hier eigentlich gespielt wird! Wo bin ich denn da hineingeraten? Gregor, was ist das für ein furchtbares Spiel?«
Francescas Worte klangen verzweifelt und deshalb glaubhaft, und Gropius sah die Zeit gekommen, seine abweisende Haltung zu erklären. »Ich war mir sicher«, begann er, »dass diese Leute dich als Lockvogel benutzt haben. Offensichtlich habe ich mich geirrt. Aber mein Leben besteht seit geraumer Zeit nur noch aus Irrtümern. Verzeih! Vielleicht wäre es besser gewesen, wir wären uns nie begegnet.«
»Ja … vielleicht.« Francescas Blick war unergründlich.
»Dann wäre dein Mann Constantino vermutlich noch am Leben.«
Francesca verzog das Gesicht. »Was du Leben nennst, war nur ein elendes Vegetieren, nichts weiter. Nach Auskunft der Ärzte stand die Chance, dass Constantino das Bewusstsein erlangt, bei eins zu einer Million, und ich bin nicht gerade der Typ, dem das Glück hinterherläuft. Das hat auch unsere Begegnung in Turin gezeigt.«
»Wie meinst du das, Francesca?«
Sie setzte ein zaghaftes Lächeln auf. »Glaubst du, ich wäre damals nicht genauso scharf auf dich gewesen wie du auf mich? Ich habe mir den ganzen Abend überlegt, wie ich dir beibringen könnte, dass ich einen halb toten Mann zu Hause habe. Mir fehlte einfach der Mut, es geradeheraus zu sagen. Du gabst mir aber auch keine Chance.«
»Was hätte ich denn tun sollen?«
»Die Frage stellt sich nicht mehr. Aus. Vorbei.« Francesca stützte die Ellenbogen auf den Tisch und legte das Kinn auf die gefalteten Hände. »Aber wir kommen vom Thema ab. Wie es aussieht, haben wir immerhin einen gemeinsamen Gegner. Und ich möchte wissen, was es damit auf sich hat.«
Der Ober servierte inzwischen den dritten Caffè latte, und Gropius begann die ganze Geschichte von vorne aufzurollen, er erzählte von Schlesingers Tod, von dem mysteriösen Schließfach, der Entdeckung, dass sein eigener Oberarzt mit der Organmafia zusammenarbeitete, und den rätselhaften Zusammenhängen mit einer Akte unbekannten Inhalts, welche gewissen Leuten Millionen wert sei.
»Aber welche Rolle spiele ich in diesem Drama?«, rief Francesca in den kahlen, unfreundlichen Raum.
Gropius warf Francesca einen prüfenden Blick zu. »Ich weiß es wirklich nicht; aber vielleicht hat es mit deiner Verbindung zu de Luca und zu mir zu tun.«
Da presste Francesca die Luft durch die Nase und mit einem vorwurfsvollen Unterton in der Stimme sagte sie: »Zu de Luca gab es keine Verbindung. Ich habe einen Auftrag ausgeführt, mehr nicht. Den Professore habe ich zwei Mal im Leben gesehen, das erste Mal, als
Weitere Kostenlose Bücher