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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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gestorben. Jetzt weißt du's!« Gropius' Worte klangen ungehalten und überreizt.
    In ihrer Aufregung hatten die beiden nicht bemerkt, dass zwei weitere Gestalten den Raum betreten hatten. Vor ihnen standen wie aus dem Boden geschossen Gropius' Sekretärin und ein dem Professor unbekannter Mann. Immer noch hielt Gropius die Arme des Mädchens an seine Brust gepresst.
    »Ich habe angeklopft«, meinte die Sekretärin entschuldigend, wobei sie die kompromittierende Haltung ihres Chefs mit einem strafenden Blick quittierte.
    »Schon gut«, erwiderte Gropius. Er entließ das Mädchen aus seiner Umklammerung und sagte an Rita gewandt: »Wir unterhalten uns später über Ihr Problem!« Rita verschwand.
    »Das ist Staatsanwalt Renner«, sagte die Sekretärin mit einer Handbewegung auf den Fremden.
    Gropius musterte den Staatsanwalt, einen jungen, drahtigen Typ mit randloser Brille und strengem Bürstenhaarschnitt, und während er das tat, wurde ihm die Fadenscheinigkeit seiner Bemerkung Rita gegenüber bewusst. »Ich habe Sie erwartet«, wandte er sich dem jungen Mann zu, »bitte nehmen Sie Platz.«
    Markus Renner stand erst am Anfang seiner Karriere, aber sein Verhalten wirkte alles andere als zurückhaltend. »Sie wissen, worum es sich handelt«, begann er ohne Umschweife. »Welche Erklärung haben Sie für den Vorfall? Sie müssen sich selbst nicht belasten und können jederzeit die Aussage verweigern; aber nach Lage der Dinge ermittle ich wegen fahrlässiger Tötung. Vermutlich kommt es zur Anklage. Wollen Sie aussagen?«
    Die Sätze des Staatsanwalts schwirrten wie abgeschossene Pfeile durch den Raum, geradlinig und zielsicher, und sie trafen Gropius in seinem Innersten. »Ich habe nicht die geringste Erklärung für diesen Vorfall«, erwiderte er zögernd, »und Sie können mir glauben, dass ich zuallererst an einer Aufklärung des mysteriösen Geschehens interessiert bin. Schließlich geht es um meine Reputation als Arzt.«
    Renner nickte zufrieden. »Dann darf ich Sie bitten, mir die Transplantationsakten zu überlassen. Ich brauche den Namen des Operateurs, der die Spenderleber entnahm, die Namen aller am Transport des Organs von Frankfurt nach München Beteiligten und die Namen aller, die hier in der Klinik mit dem Organ in Berührung kamen oder gekommen sein könnten.«
    Mit einem säuerlichen Lächeln im Gesicht schob Gropius dem Staatsanwalt die Akte über den Tisch. »Hier finden Sie alle Unterlagen.«
    Beinahe gleichgültig und mit einer Kaltschnäuzigkeit, die man einem Mann seines Alters kaum zugetraut hätte, nahm Renner die Akte in Empfang. Als handelte es sich um einen Werbeprospekt oder dergleichen, ließ er die einzelnen Seiten durch die Finger gleiten, dann erhob er sich mit den Worten: »Professor, ich möchte Sie bitten, sich zur Verfügung der Staatsanwaltschaft zu halten. Ich darf doch davon ausgehen, dass Sie die Stadt in den nächsten Tagen nicht verlassen?«
    Gropius nickte unwillig, und nicht weniger unwillig knurrte er: »Wenn es denn sein muss.«
    Mit einer Floskel und ohne einen Händedruck verabschiedete sich Staatsanwalt Renner. Er hatte kaum die Tür hinter sich geschlossen, als Gropius halblaut hinter ihm herrief: »Schnösel!« Er hatte eine Riesenwut im Bauch.
    Aufgebracht wischte er sich mit dem Handrücken über die Stirn, als wollte er seine finsteren Gedanken auslöschen. Schließlich begann er auf ein Papier Rechtecke und Linien zu zeichnen und Pfeile, die sich wie verirrt durch ein Labyrinth bewegten: den Weg des Koffers mit dem Spenderorgan vom Eintreffen in der Klinik bis zum Operationssaal. An manchen Stellen markierte Gropius ein X, an anderen ein Fragezeichen. Das Labor im dritten Stock, wo eine letzte histologische Untersuchung stattgefunden hatte, umrundete er mit einem Kreis. Von hier auf dem Weg zum OP markierte er jede Tür mit einem Ausrufungszeichen. Nachdem der Laborbericht alle Werte bestätigt und keine Abnormitäten aufgeführt hatte, musste der Anschlag auf diesem letzten Weg verübt worden sein.
    Gropius wartete bis zum Schichtwechsel um 20 Uhr. Danach kehrte auf allen Stationen Ruhe ein. Lautlos machte er sich mit seinen Skizzenblättern auf den Weg. Er hätte nie für möglich gehalten, dass er einmal heimlich wie ein Dieb durch seine Station schleichen würde, um sich irgendwelche Notizen zu machen. Aus Furcht, er könnte bei seiner seltsamen Tätigkeit entdeckt werden, schlenderte er mehrmals scheinbar ziellos durch die Gänge, wobei er sich den Anschein

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