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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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gab, eine wichtige Akte zu studieren. In Wahrheit notierte er jede Tür und die Bedeutung des dahinter liegenden Raumes, und dabei ließ er weder WCs noch Besenkammern aus.
    Erleichtert, weil ihm niemand begegnet war, der Verdacht schöpfen konnte, strebte er gerade dem Lift zu, als ein Mann um die Ecke bog, den er um diese Zeit hier zuallerletzt erwartet hätte.
    »Sie, Herr Staatsanwalt?«
    Markus Renner grinste hinterhältig und rückte seine Brille zurecht. Mit zusammengekniffenen Augen musterte er die Skizzenblätter, welche Gropius in den Händen hielt, und bemerkte von oben herab: »Wie es scheint, hatten wir beide den gleichen Gedanken!«
    Gropius zog es vor zu schweigen. Was immer der Staatsanwalt auch mit seiner Bemerkung hatte sagen wollen, er hatte keine Lust, Erklärungen abzugeben. Dies hier war immer noch seine Klinik. Von Anfang an war ihm dieser karrieresüchtige Schnösel unsympathisch gewesen – und nicht nur deshalb, weil ein Todesfall sie zu Gegnern gemacht hatte; das nassforsche Auftreten des jungen Mannes missfiel ihm. So kam es, dass die unangenehme Begegnung in Schweigen endete und jeder seiner Wege ging.
    Als Gropius kurz vor 22 Uhr nach Hause kam, wartete Rita vor der Haustür. Er war nicht einmal überrascht. Es hatte zu regnen begonnen, und das Mädchen war völlig durchnässt.
    »Ich dachte, an einem Tag wie diesem könntest du ein bisschen Aufheiterung vertragen. Aber ich kann auch wieder gehen, wenn du willst.«
    Das hatte etwas Rührendes. »Nein, nein, komm schon herein!«
    In Augenblicken wie diesem fragte sich Gropius, ob ihr Verhältnis nicht doch mehr war als purer Sex. Denn das hatte er Rita gegenüber unumwunden zugegeben. Von einer ernsthaften Beziehung wollte er nichts wissen. Gewiss, er war scharf auf sie, aber von Liebe konnte keine Rede sein. Rita hatte das nicht allzusehr erschüttert. Sie war seiner Ehrlichkeit mit der Bemerkung begegnet, sie könne warten.
    »Du musst das verstehen«, begann Gregor Gropius, als sie im Haus waren, »das hat nichts mit dir zu tun, aber im Augenblick ist mir nicht gerade nach Vögeln zumute.«
    »Hm.« Rita schob die Unterlippe vor wie ein kleines Mädchen. Sie wusste sich auch in einer Situation wie dieser in Szene zu setzen.
    »Du solltest ein heißes Bad nehmen und deine Kleider kurz zum Trocknen aufhängen«, sagte Gregor und nahm das Mädchen in die Arme.
    Rita entkleidete sich vor seinen Augen – was ihn an diesem Abend aber nicht aus der Fassung brachte – und hängte ihre nassen Sachen über den Heizkörper im Flur.
    Wie schön sie ist, dachte Gropius. Weiter kam er nicht. Das Telefon holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Noch bevor er seinen Namen nannte, vernahm er aus dem Hörer eine Stimme, die er schon einmal gehört hatte: »Eine Nachricht für Professor Gropius. – Es geht um den Tod Schlesingers. Schlesinger starb an einem Leberkoma. – Sie trifft keine Schuld. – Deshalb sollten Sie alle weiteren Nachforschungen einstellen. Es ist in Ihrem eigenen Interesse.« Dann brach die Verbindung ab.
    Wie versteinert blickte Gropius auf das nackte Mädchen. Er hatte noch den ersten Anruf im Gedächtnis. Dies war genau derselbe Wortlaut. Eine Tonbandstimme!
    »Etwas Unangenehmes?«, fragte Rita.
    »Ja«, antwortete Gregor abwesend.
    »Willst du, dass ich gehe?«
    Gropius blickte zur Seite und nickte.
    Etwa zur selben Zeit hingen Professor Lagermann und Oberarzt Dr. Fichte am Tresen einer Bierkneipe in der Innenstadt. Sie hieß ›Extrablatt‹ und war ein ebenso beliebter wie verrauchter Treff von Journalisten, weil die wichtigsten Zeitungen nur wenige Minuten entfernt lagen. Nie im Leben wären Fichte und Lagermann Freunde geworden, dafür waren beide einfach zu verschieden, aber das Schicksal hatte sie insofern zusammengeschweißt, als Fichtes Vater und Lagermanns Mutter Geschwister waren, womit ihnen der nur mit Mühe nachvollziehbare Verwandtschaftsgrad von Cousins zukam. In der Klinik verschwiegen beide diese Tatsache, und sie hatten unterschiedliche Gründe dafür.
    Während Fichte, genannt ›Bäumchen‹, ein ausgesprochener Frauentyp war, hatte Lagermann dem anderen Geschlecht schon lange abgeschworen. Ob aus Überzeugung oder der Not gehorchend, vermochte niemand zu sagen, auch Fichte nicht. Augenzwinkernd bezeichnete sich Lagermann als zeugungsfähigen Protestanten. Im Übrigen hatte er einmal seinem Cousin gestanden, welche Frau lasse sich schon aus freien Stücken mit einem Leichenschneider ein. Er könne,

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